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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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paar Stunden, wenigstens für die Zeit, die eine schnelle Nummer im Schlafzimmer beanspruchte.
    Mit den Übrigen gab es Probleme. Sie waren nicht von mir abhängig, und obwohl Minajewa von Kulagin hergebracht worden war, gehörte sie dazu.
    Ich erkannte sofort, weshalb sie hergekommen war: Sie wollte mich haben und war offenkundig enttäuscht, mich allein anzutreffen. Sie brauchte Zuschauer als Zeugen ihres raschen Sieges: Wäre Alina im Studio gewesen, hätte sie eine wahre Schlacht begonnen. Nicht um mich – nur um zu beweisen, dass sie die Stärkere war. Sich zu genieren, um den heißen Brei herumzureden, das hätte sie für überflüssig gehalten. Mochte ich ein Könner in meinem Fach sein, sie war es in dem ihrigen, dem allerwichtigsten.
    »Hat es bei Ihnen eine Haussuchung gegeben?«, fragte sie beim Anblick der über den Fußboden verstreuten Fotos.
    Ohne ihre Frage zu beantworten, las ich die Fotos auf, stopfte sie in die Kuverts und die Kuverts in die Schubkästen des Regals.
    Sie setzte sich seitlich auf den Arbeitstisch, ließ das Schloss ihres Handtäschchens aufschnappen und nahm Zigaretten heraus.
    »Kulagin hat mich ins Restaurant ausgeführt.« Sie zündete sich eine Zigarette an, stieß einen dünnen Rauchfaden aus. »Hat mich beruhigt. Sagte, Sie würden alles gut machen. Ich habe ihm Glauben geschenkt.«
    Sie senkte den Blick und bemerkte die auf der Kundgebung gemachten Aufnahmen.
    »Ja, Sie können was«, stellte sie fest. »Saubere Arbeit. Was mag wohl einer fühlen, der von einem Foto entfernt wird? Nichts? Kann das sein?«
    Ich ging zu meiner Stereoanlage und schaltete Musik ein.
    »Ganz nett«, sagte Minajewa beifällig, als sie die ersten Takte hörte. »Sie haben auch darin Geschmack. Was ist das? Ach, unwichtig! Also, was fühlt er wohl? Haben Sie sich mal darüber Gedanken gemacht?«
    »Nein«, antwortete ich. Diese Frau schmeichelte mir hemmungslos, ohne irgendwelche Bedenken. »Ace of Base« verschlugen einem den Atem, die Musik strömte aus allen Ecken. »Aber man kann einen Härtetest durchführen. Eine Aufnahme von sich selbst machen und sich dann entfernen.«
    »Täte es Ihnen nicht leid?« Sie stieß mit dem Ellbogen gegen das Retuschiergerät, das zur Seite kippte. »Besser, man probiert es an jemand anders aus.«
    »Zum Beispiel?« Ich betrachtete ihre Lippen: Sie war regelrecht drauf und dran, mich zu verschlingen.
    »Probieren Sie es an mir aus. Sie haben ja mein Foto. Oder wir machen noch eins.«
    »Wir?«
    »Natürlich wir! Künstler und Modell sind untrennbar. Wussten Sie das nicht?«
    Sie sprang vom Tisch und knöpfte ihr Jäckchen auf: Sie hatte es über den bloßen Körper gezogen. Ihre durch die Reibung am Futterstoff erregten Brustwarzen visierten mich herausfordernd an.
    »Legen Sie einen Film ein.« Sie zog sich weiter aus. »Wo soll ich mich hinstellen?«
    »Da …« Ich wies auf die mit Laken verkleidete Wand.
    »Wie?«
    »Wie Sie wollen.«
    »Ihnen ist das egal? Aber das ist nicht professionell!«
    »Wie Sie wollen!«
    »Sie müssen es wissen! Aber mit mir kann man das nicht so machen. Mir darf man nicht die Initiative überlassen.«
     
    Ich ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm aus dem Türfach das Schächtelchen mit dem Film heraus. Das Telefon klingelte, ich nahm den Hörer von dem neben dem Kühlschrank hängenden Apparat ab.
    »Du bist ja ganz verschollen, Söhnchen«, hörte ich die Stimme meines Vaters. »Hast mich völlig vergessen. Lässt nichts von dir hören. Schon fast zwei Monate.«
    »Die Arbeit …«, sagte ich, während ich beobachtete, wie die im Glas der Küchentür sich spiegelnde Minajewa verführerische Posen einnahm. Dass mein Vater anrief, war eine geradezu mystische Fügung – alles, was gerade vor sich ging, erinnerte mich an die lange zurückliegende Geschichte mit der Frau aus dem Flussrestaurant.
    »Komm zum Essen zu mir«, sagte mein Vater. Ich habe heute etwas Gutes zu Mittag. Wann bist du hier?«
    »Ich weiß nicht. In zwei Stunden vielleicht.«
    »Ich erwarte dich in einer halben Stunde!« Und mein Vater legte auf.
     
    »Müssen Sie irgendwohin?«, fragte Minajewa, als ich in das Studio zurückkehrte.
    »Ja. Ich muss zu meinem Vater fahren.«
    »Wann?«
    »In einer halben Stunde.«
    »Und Sie glauben, mit mir bis dahin fertig zu werden?« Minajewa lachte. »Versuchen Sie es!« Und mit graziös um den hohen Stuhl geflochtenen Beinen lehnte sie sich zurück. Ihr von den Spangen befreites Haar reichte fast bis zum

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