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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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Augenblick die Geduld verlieren, dass sie ein Auto anhalten, die Parkwächter bitten konnte, ihr eins zu besorgen. Ich beeilte mich. Unklar, wozu, aber ich knöpfte auch noch die Hosen auf und tat für mich so, als habe ich vor, in das niedrige, wie breitpfotige und dazu noch hellblaue Becken zu urinieren. Ich vermied es, das Negativ zu betrachten. Meine Fingernägel glitten indessen immer wieder ab. Ich bespeichelte meine Fingerspitzen. Wie ein Falschspieler, der seinen Haupttrick vorbereitet, behauchte ich sie. Das Negativ fiel auf den verdreckten Fußboden. Ich musste mein Ekelgefühl überwinden, um es aufzuheben. Es war feucht geworden, und das erleichterte mir meine Aufgabe. Ich kratzte darüber, und die Emulsion gab nach.
    Hinter mir, hinter der geschlossenen Kabinentür, nahm das gewöhnliche Leben dieses Ortes seinen Lauf. Jemand wusch sich die Hände, ein anderer leerte, vor Behagen ächzend – im Restaurant wurden wie in früheren Zeiten gutes Bier und diverse Meeresdelikatessen verkauft –, seine Harnblase. Ich tilgte unterdessen die ganze Baibikow’sche Gestalt. Dann knöpfte ich mir die Hosen zu, steckte das Negativ ein, ertastete, nach wie vor mit dem Rücken zur Tür stehend, den Riegel, öffnete die Tür, stieß sie auf und verließ die Kabine.
    »Nein, dieses Volk bei uns!«, sagte der, der sich wonnevoll am Pissoir erleichterte, zu dem am Waschbecken Stehenden. »Zu bequem, die Spülung zu betätigen!«
    »Wahrhaftig!« Der am Waschbecken spuckte kräftig aus und sah mich im Spiegel an. »Diese neuen Russen!«
    Die beiden dachten bestimmt, dass mein verlegenes Lächeln das Lächeln eines ungehobelten Neureichen war. Schwachköpfe!
     
    Was ich machte, solange die Fachleute den Ort des Verbrechens in Augenschein nahmen, die Zeugen befragt und die Leichen hinausgetragen wurden, solange die Sergeanten die Neugierigen bremsten und die Journalisten dem am Ort des Geschehens eingetroffenen Chef der hauptstädtischen Miliz verfängliche Fragen zu stellen versuchten?
    In einer Imbissstube ließ ich mir das Frühstück schmecken. Von den hier angebotenen Molkereiprodukten – ich probierte mehrere Joghurtsorten durch – noch nicht satt, fuhr ich ein paar Haltestellen mit dem Obus und betrat eine Pizzeria, die gerade aufgemacht hatte. Hier war ich der einzige, dafür allerdings ein sehr gefräßiger Gast.
    Nach Verlassen der Pizzeria bestieg ich wieder den Obus, fuhr in Richtung Zentrum, stieg aus und ging um die Baustelle auf dem Poklonnaja-Berg herum. Die Arbeiter begannen erst ihr Tagewerk, und mir fiel auf, dass sie keinen übermäßigen Elan erkennen ließen. Dann hielt ich ein Taxi an und ließ mich ans andere Ende der Stadt fahren zu einem großen Warenhaus, in dem ich eine Reisetasche kaufte, die mir besonders gut gefiel. Die Tasche, aus Leder und sehr teuer, brauchte ich absolut nicht, doch als ich bezahlte, empfand ich große Befriedigung.
    Die Umgebung war etwas verschwommen, betrachtet wie durch ein Objektiv mit aufgeschraubtem einfachem Filter und auf dessen Ränder aufgetragener dünner Vaselineschicht. Scharf sah ich nur, was direkt vor mir lag. Seitlich nahm ich überhaupt nichts wahr.
    In dem Warenhaus kaufte ich mir noch eine ebenfalls sehr teure Sonnenbrille. Die Tasche über die Schulter gehängt, die Brille auf der Nase, suchte ich einen Friseursalon auf, wo ich rasiert werden wollte.
    »Wir rasieren nicht«, sagte mir die Friseuse, die Krampfadern an den Beinen hatte. »Aids! Alle haben Angst!«
    »Ich habe keine Angst!«, parierte ich, doch sie bot mir statt der Rasur Haareschneiden an.
    Dem stimmte ich sofort zu. Ich bekam mit einem arg stinkenden Shampoo den Kopf gewaschen, in einer langen, sehr langen Prozedur die Haare geschnitten, sodann die Kopfhaut massiert und die Haare geföhnt. Sogar Gel wurde hineingeschmiert, und ich gewann ein völlig albernes Aussehen.
    »Sie können ganz unbesorgt sein!«, beruhigte mich die Friseuse. »Das ist jetzt modern so. Die Frauen mögen das.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte ich.
    »Ja.« Sie riss das Tuch von meinen Schultern, blies mir hinter den Kragen, dass ich eine Gänsehaut bekam. »Das war’s! Rasieren können Sie sich zu Hause!«
    Frisch frisiert, ging ich in das Warenhaus zurück, wählte mir einen neuen Trockenrasierer aus und wollte schon bezahlen, als sich herausstellte, dass mir das Geld ausgegangen war. Ich sah auf die Uhr: Die Leichen mussten inzwischen weggeschafft sein und die Ermittler den Ort des Verbrechens verlassen

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