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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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Schultern.
    »Warum hat das so lange gedauert?«, fragte sie.
    Ich schloss schweigend das Auto auf, setzte mich hinein, öffnete die Tür auf ihrer Seite.
    »Warum hat das so lange gedauert?«, wiederholte sie. »Ich bin ganz durchgefroren. Was für eine kalte Nacht!«
    »Ich musste ja noch bezahlen«, erwiderte ich und ließ den Motor an.
    Einer der Parkwächter trat heran und beugte sich zum Wagenfenster herunter.
    »Gute Nacht!«, sagte er.
    Ich reichte ihm einen Schein, und er löste sich wohlwollend in der Dunkelheit auf.
     
    Ich brachte Tanja nach Hause, unterwegs knöpfte mir die Verkehrsmiliz zweimal Bußgeld ab. Das Haus wirkte wie ein riesiges schwarzes Schiff, das aus einer nebligen Bucht ins offene Meer ausläuft.
    »Wenn du möchtest, komm mit hoch«, sagte sie, als ich das Auto anhielt.
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum?«, fragte sie verwundert.
    »Ich kann nicht. Jetzt kann ich nicht. Morgen. Komm morgen zu mir.«
    »Wann?«
    »Wann du möchtest. Abends.«
    »Abends? Gut. Halb elf bin ich da!«
    Die Wagentür schlug zu. Tanja klapperte mit ihren Absätzen über den Asphalt, bog in die Toreinfahrt ein. Hätte ich sie zum letzten Mal gesehen, wäre es besser gewesen.
    Nachdem ich noch eine Weile im Auto sitzen geblieben war, fuhr ich ohne Eile nach Hause. Ich duschte erst einmal, bevor ich Kaffee trank. Von dem Kaffee wurden die Kopfschmerzen noch stärker. Ich nahm zwei Sedalgin, löste in einem Trinkglas einen Löffel Soda auf. Unter meinen Fingernägeln waren noch Reste der Emulsion: Ich spitzte ein Streichholz an und säuberte sie mir. Meine Hände zitterten noch mehr, und ein paarmal verletzte ich mir die Haut. Trotz aller Anstrengungen kriegte ich den Trauerrand nicht überall weg. Dann kam langsam, wie widerstrebend, hinter den Dächern die Sonne hervor, um gleich wieder hinter Wolken zu verschwinden.

Vierzehntes Kapitel
    Als ich auf Baibikows Hof fuhr, schien die Sonne hell, von Wolken keine Spur. Der Hof war sauber gefegt und mit Wasser besprengt. Es herrschte völlige Stille, eine beunruhigende Stille allerdings – es schien, als ob alle Wecker von einer Minute zur anderen den Hof mit schrillem Klang erfüllen würden, bei dem alle zusammenzuckten. Das Ganze hier trug den Stempel der Abgeschlossenheit, der Endlichkeit, es war durchgestaltet, überprüft. Selbst die Autos auf dem Parkplatz standen nicht nur nach Größe und Klasse, sondern auch nach Farben geordnet – von Rot bis Violett –, als hätte jemand für diese Einteilung gesorgt. Ich war gezwungen, mit dem Abstellen meines Autos auf einem freien Platz zwischen einem hellblauen Volvo und einem dunkelblauen BMW ein störendes Element in die Komposition zu bringen.
    Ehe ich jedoch aussteigen konnte, kamen aus Baibikows Aufgang drei Leute gerannt, die eine noch größere Dissonanz verursachten.
    Erstens preschte der BMW sofort los – der Fahrer war, wie sich herausstellte, hinter dem verspiegelten Glas nicht zu sehen gewesen-und fuhr ihnen entgegen. Zweitens hatten es diese drei sehr eilig. Und vor allem hing einer von ihnen, der in der Mitte, wie ein Sack auf den anderen, setzte seine Beine praktisch überhaupt nicht. Sein schweißglänzendes, von einer Grimasse verzerrtes Gesicht war nach oben gerichtet, als sei er im Begriff aufzuheulen oder die ersten Zeilen der Hymne zu singen, die jeden Moment im Radio erklingen musste. Zudem hinterließ er auf dem sauberen Asphalt eine dunkle feuchte Spur.
    Der BMW bremste neben ihnen, der Kofferraumdeckel wurde vom Fahrer leicht geöffnet. Der Linke stieß den Deckel hoch, der Rechte packte den Mittleren am Hosengürtel und beförderte ihn, Kopf voran, in den Kofferraum. Die Beine des Schweißüberströmten zuckten, er versuchte sie anzuziehen, doch gelang ihm das nur mit Hilfe seiner Freunde: Der Linke hielt die krampfhaft zuckenden Extremitäten fest und zog seine Hand rasch zurück, als der Rechte den Deckel kraftvoll herunterzuklappen begann. Im Nu war der Linke neben dem Fahrer. Der Rechte trat auf die Hintertür zu. Der BMW setzte sich bereits in Bewegung, und er musste loslaufen, dann rennen, im Rennen die Tür öffnen und hineinschlüpfen. Der Fahrer nahm eine scharfe Kurve, die Hintertür klappte von allein zu, der BMW blinkte zum Abschied mit dem Stopplicht und verschwand um die hintere Ecke von Baibikows Haus.
    Das waren sie gewesen! Das stand für mich fest. Die, die das von mir Begonnene zum Abschluss gebracht hatten. Die Vollstrecker.
    Jetzt war außer mir niemand im Hof.

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