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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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Abgesehen von einer Katze, die leichtfüßig den noch vollen Mülltonnen zustrebte. Jetzt erreichte sie die von dem Schweißüberströmten hinterlassene feuchte Spur, zögerte, machte einen Buckel, setzte über die Spur hinweg, lief weiter.
    Das aus dem Schweißüberströmten herausgeflossene Blut war fast schwarz.
    Ich ging ins Haus hinein und stieg zu Baibikows Etage hoch. Seine Wohnungstür stand weit offen, im Korridor lag zusammengekrümmt, den von Kugeln durchsiebten Rücken mir zugewandt, einer seiner Leibwächter. Ich schritt über ihn hinweg, warf einen Blick in die Küche, dann in das kleine Zimmer. Baibikow war nicht zu sehen.
    Ich betrat das große Zimmer. In seiner Mitte standen zwei Taschen und ein Diplomatenkoffer mit Zahlenschlössern. Auf dem Tisch trockneten nach wie vor die Essenreste ein, zu der Batterie leerer Flaschen waren noch weitere hinzugekommen, der Geruch des Endlosgelages vermischte sich mit dem dumpfen, mir von dem Massaker im Restaurant bekannten Geruch von Pulver und Blut. Dem Geruch des dahingehenden Lebens.
    Ich sah unter dem Tisch nach. Hier lag der zweite Leibwächter, seine Hand mit der Pistole war auf die Tür zum Korridor gerichtet, das von Kugeln verunstaltete Gesicht bewahrte noch den Ausdruck der Konzentration des Schützen, bevor er den vielleicht wichtigsten Schuss seines Lebens abgefeuert hatte. Mir fiel der in den Kofferraum verfrachtete Schweißüberströmte ein: Baibikows zweiter Wachmann hatte immerhin noch einen Schuss abgeben können.
    Hinter mir hüstelte jemand. Ich ging in den Korridor zurück, versuchte die nach außen aufgehende Badtür zu öffnen, doch der Schenkel des am Boden liegenden Leibwächters war im Wege, ich musste erst einmal seinen großen feuchten Körper wegschieben.
    Baibikow fand ich auf dem Fußboden, zwischen dem Waschbecken und der Waschmaschine, der gleichen, die auch mein Vater besessen hatte. Er saß da, als studiere er, was »Philips« über die Höchstqualität seiner Haushaltsgeräte mitzuteilen hatte. Er richtete den Blick auf mich und lächelte schief.
    »In Bauch und Brust«, ließ er mich wissen. »Zum Kopfschuss sind sie nicht gekommen.«
    Das Lächeln erlosch, er musste husten. Aus seinem Mund rollte eine große rote Kugel, kullerte abwärts, zerplatzte auf dem gefliesten Fußboden, nahm die Umrisse eines zerquetschten Frosches an.
    »Scheiße«, flüsterte er, den roten Klecks betrachtend. »Komm näher …«
    Ich beugte mich über ihn.
    »Nicht totgekriegt!« Bai strengte sich an, völlig ruhig zu erscheinen. »Wenn ich mich berappele, identifiziere ich die …« Er nahm die Hand vom Unterleib, ein kleiner flacher Zylinder – ein Schächtelchen für Mikrofilme – lag auf seinem Handteller.
    Diese Bewegung hatte Bai anscheinend den letzten Rest von Kraft gekostet. Eine nach der anderen rollten rote Kugeln aus seinem Mund, sein Gesicht wurde aschfahl, sein Kopf kippte zur Seite und schlug dumpf gegen die Waschmaschine.
    Ich griff mir das Schächtelchen, steckte es in die Tasche und wandte mich zur Tür: Nach einer zweiten Begegnung mit den OMONlern stand mir ganz und gar nicht der Sinn, und um mir keinen unnötigen Ärger einzuhandeln, beschloss ich, bis der Auflauf angesichts der Ermordung eines Duma-Abgeordneten nachließ, einen Spaziergang zu machen.
     
    Natürlich hätte ich einen anderen, geeigneteren Ort finden können, um Baibikow wegzuschaben. Nicht nur, weil Bai ein Mann der Landespolitik war – auf die hatte ich schon immer gepfiffen! –, sondern zumindest deswegen, weil uns beide lange Jahre der Bekanntschaft verbanden, einer Freundschaft, die freilich nach Lisas Tod in die Brüche gegangen war, aber alte Freunde bleiben für immer Freunde, selbst wenn sie zu Todfeinden geworden sind. Selbst wenn man sich nicht mehr sieht, selbst wenn man vergisst, dass es sie gibt, bleiben sie doch existent, irgendwo nicht weit entfernt, als eine Art zweites Ich, man wird sie nicht los.
    Natürlich hätte es sich gehört, für einen alten Freund nach einem würdigeren Ort zu suchen, aber es ergab sich nun einmal so, dass ich Bai auf der Toilette des Restaurants wegkratzte, ihn mit dem beseitigte, was mir gerade zur Verfügung stand – meinen Fingernägeln. Hätte ich doch mehr Zeit gehabt, die Möglichkeit, mir die Sache zu überlegen, mich sorgfältiger vorzubereiten!
    Nein, ich gehorchte einem Impuls.
    Zunächst widersetzte sich das Negativ, wollte nicht nachgeben. Ich stand in der Kabine und dachte, dass Tanja jeden

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