Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Vogel Geheimnisse verpfeift, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Le Corbeau wird ein anonymer Denunziant genannt, eine Übelkrähe, die Bestandteil des täglichen Lebens in Frankreich ist. Einmal verpfiff ein Corbeau den General Balthazar de Montagnac an die Justiz, beim zweiten Mal - acht Jahre später -gab er an zu wissen, wer der Mörder des Generals sein könnte. Und erst da tauchte der Name Victor LaBrousse in diesem Fall auf, obwohl der Pflanzer auf Martinique von Anfang an daran beteiligt war, viele Millionen Francs, später Euro zugunsten französischer Politiker zu waschen.
Eines frühen Morgens, drei Tage vor Himmelfahrt 2002, war Balthazar de Montagnac vor seiner Villa in Saint Cloud, dem schicken Villenviertel am südwestlichen Rande von Paris, erschossen worden. Eine einzige Kugel aus einem Präzisions-Gewehr älterer Bauart, wie die verwendete Munition verriet, hatte ihn aus fast zweihundert Metern Entfernung in die Brust getroffen und ihm das Herz zerrissen. Sein Gärtner hatte ihn, im schönsten Sonnenschein auf dem Rasen liegend, wenige Meter von der Terrasse entfernt, gefunden. An diesen Ort pflegte der General seine Besucher zu führen und den einzigartigen Blick über ganz Paris zu rühmen mit dem Eiffelturm als Kompassnadel in der Mitte des Panoramas. Der Schuss war von den Oleanderbüschen an der hohen Gartenmauer aus abgegeben worden.
Noch bevor die Polizei eintraf, verbreitete sich die Meldung vom Mord an dem General wie ein Lauffeuer über das Internet, die Rundfunknachrichten nahmen sie auf, und die Mittagsnachrichten im Fernsehen begannen ausnahmsweise
nicht mit dem Lieblingsthema der nach Quote schielenden Fernsehmacher: dem beunruhigenden Fall eines kleinen Mädchens, das verschwunden war.
General de Montagnac ermordet! Das deutete nicht nur auf einen politischen Skandal hin, nein, das war eine Sensation, die die Staatsspitze erschüttern könnte, wie einst der Tod von Arbeitsminister Robert Boulin, der im Wald von Rambouillet in einem fünfzig Zentimeter tiefen Tümpel ermordet aufgefunden worden war. Der populäre Boulin stand damals kurz davor, Raymond Barre als Premierminister abzulösen. Der Fall wurde nie gelöst. Es sei ein Selbstmord gewesen, hieß es, und es war geradezu lächerlich, was die vom Innenminister abhängige Polizei damals beschloss: Boulin sei absichtlich in der flachen Pfütze ertrunken.
Doch so einfach ließ sich der Mord am General de Montagnac nicht vertuschen. Denn ein Corbeau hielt den Fall am Köcheln.
Sechs Monate waren seit dem Schuss auf den General vergangen, und immer noch hatte die Polizei keinen konkreten Hinweis auf einen Täter. Als die zuständigen Beamten beschließen wollten, auch dessen Tod als Selbstmord einzuordnen, wies der Corbeau in seiner zweiten Mitteilung auf Verdächtige hin, mit der Bemerkung: die vor acht Jahren bei Gericht eingegangene erste Lieferung von ihm solle nicht vergeblich gewesen sein.
Die neuen Papiere brachten LaBrousse ins Spiel. Und das erstaunte Jacques Ricou, denn LaBrousse war zwar jahrelang als Handlanger de Montagnacs in das Geschäft mit der schwarzen Kasse verwickelt gewesen, doch bei keinem Verhör, in keiner Rechnung oder Akte hatte der Richter bisher einen Hinweis auf ihn gefunden.
Martine sagte dazu nur lakonisch: »Da stecken noch viel mehr drin, die wir nicht kennen. Du hast noch viel Arbeit vor dir, Monsieur le juge, es ist nur die Frage, wer wen zuerst erwischt:
die anderen dich oder du die anderen.«
»Die anderen sind im Moment im Vorteil, aber das hier ist ein Punktgewinn für uns.«
Der anonyme Denunziant, der sich in den schmutzigen Geschäften der hohen Politik, der Justiz und der Geheimdienste offensichtlich auskannte, hatte mit seiner ersten Briefsendung kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 1995 einen Machtkampf zwischen der Gerichtsbarkeit und den Renseignements Generaux, dem Inlandsgeheimdienst, ausgelöst. Für Eingeweihte war das erkennbare Ziel des Denunzianten der Sturz des Innenministers.
In einem Umschlag ohne Fingerabdrücke hatte er der Justiz einen Packen Rechnungen geschickt, die von einer völlig unbekannten Beratungsfirma namens »Sotax« an solche Bauunternehmen adressiert worden waren, die Aufträge von verschiedenen öffentlichen Stellen und Kommunen erhalten hatten. Da ging es um alles: den Bau von Metrolinien, von Straßen, Bahntrassen, Brücken, Autobahnzubringern und ganzen Hochhaussiedlungen in der Banlieue.
Die Staatsanwaltschaft hatte das Dossier
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