Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
nachfärben ließ.
In der Partei hatte der General, der mit politischen Äußerungen nie hervortrat, häufig die Strippen für die L.E.F. im Dunkeln gezogen, wenn es um Abstimmungsverhalten,
unerklärte Koalitionen und erst recht, wenn es um Ämter ging. Deshalb schmeichelte ihm, wer nach Posten schielte, und gab sich als sein Freund aus. Aber der General wurde nicht nur als geheimer Finanzier in der L.E.F., sondern auch über sein Lager hinaus respektiert, weil er, so schien es, über unkontrolliert viel Bargeld verfügte. Welche Quelle er anzapfte, wollte niemand wissen; manch einer vermutete, er habe nicht nur für die Armee, sondern auch für den Geheimdienst gearbeitet, der seinerzeit das Ölunternehmen Elf-Aquitaine gegründet hatte, um von der Politik finanziell unabhängig zu sein. Und Elf verteilte in den guten alten Zeiten jedes Jahr Hunderte von Millionen nicht nur an Politiker und Parteien in Frankreich, sondern an so manchen Regierungschef im Ausland, an afrikanische Häuptlinge oder Präsidenten von Ländern, in denen Ölreserven lagen.
All das geschah selbstverständlich im Einvernehmen mit dem jeweiligen Staatspräsidenten, dem der jeweilige Chef von Elf einen handgeschriebenen Zettel präsentierte, auf dem stand, wer wie viel bekommen sollte. Die Partei des Präsidenten wurde stets besonders bedacht. Zu seiner Amtszeit, so wird berichtet, machte Franöois Mitterrand jedes Jahr stets die gleichen glucksenden Geräusche, mit denen er seine Unzufriedenheit ausdrückte, wenn ihm die Liste vorgelegt wurde, und fügte noch einiges für die Sozialisten hinzu.
Regelmäßig kurz vor Weinachten machte der General die Runde durch Paris. Aus dem Kofferraum seines großen Peugeot, den er an diesem Tag ausnahmsweise selber chauffierte, verteilte er, nach einem geschickt ausgeklügelten System, in großen Bündeln Fünfhundert-Franc-Scheine. So erhielt etwa die Mätresse des Ministers einer anderen Partei mehrere hunderttausend Francs, womit er nicht nur eine Freundin, sondern darüber hinaus auch einen heimlichen Alliierten gewann.
Vor den Wahlen im Frühjahr 1995 war Jacques Ricou mit der Untersuchung beauftragt worden, aber der Fall war Jahr um Jahr
gewachsen. Dann war im Herbst 2002 der General erschossen worden. Insgeheim hatten sich all jene Politiker, Beamte und Unternehmer, die in das Geflecht der »Sotax« verstrickt waren, den Tod des Generals erhofft, am liebsten friedlich, wegen seines hohen Alters, denn das hätte, unter normalen Umständen, die Einstellung der Untersuchung bedeutet. So hatte die bisher willfährige Justiz immer gehandelt.
Aber es war nichts mehr so wie früher, als ohnehin alles besser war. Richter einer neuen Generation, wie Jacques Ricou, Eric Halphen, Renaud van Ruymbeke und vor allem Eva Joly, haben inzwischen bewiesen, was eine unabhängige Justiz bewirken kann und was Gerechtigkeit bedeutet. Auch aus diesem Grunde war Jacques Ricou im Frühjahr 2003 so schnell bereit, nach Martinique zu reisen, um Victor LaBrousse zu vernehmen.
Drei Wochen zuvor hatte er in der zweiten Sendung des Corbeau wieder brisantes Material entdeckt. Unter den Papieren waren einige Protokolle, die im Jargon der Renseignements Generaux, des Inlandsgeheimdienstes, »blancs« genannt werden, »weiß«, weil das Papier weder Briefkopf noch Unterschrift trägt, damit es nicht auf einen bestimmten Agenten zurückverfolgt werden kann. Blancs existieren stets in nur drei Exemplaren, eines behält der Agent, das zweite geht an den Chef des Geheimdienstes und das dritte erhält der Innenminister. Der Corbeau musste also auf einem guten, sehr guten Posten sitzen, um eine Kopie herstellen und an den Richter schicken zu können.
Martine hatte den Umschlag geöffnet und war damit sofort in Jacques' Büro geeilt. Grinsend hatte sie ihn gefragt: »Weißt du eigentlich, wofür die Abkürzung >Sotax< steht?« »Das ist vermutlich ein erfundener Name.«
»Es ist die Abkürzung von Societe taxi - Taxiunternehmen. Wie ein Taxi hat die >Sotax< das Geld eingeladen und die
Millionen bei den Parteien abgeliefert.«
»Wo hast du denn das her?«
»Steht hier vorn auf der ersten Seite. Post vom Corbeau.«
»Der Witzbold.«
In zwei säuberlich getrennten Aktendeckeln, der eine rosa, der andere schwarz, war da zum ersten Mal seit Beginn der Ermittlungen im Frühjahr 1995 der Name Victor LaBrousse aufgetaucht. In der ersten Akte wurden ungewöhnlich hohe Zahlungen auf ein Konto von Victor LaBrousse in Abidjan, der
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