Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Claude.
»Ich meine was anderes. Er hat schon Recht, wenn er von Hypokriten, von Heuchlern spricht«, sagte Jacques, »denn nach dem Gesetz war der Genuss der braunen Fee verboten. Doch gleichzeitig wachte die französische Verwaltung in der Kolonie eifersüchtig über ihr Monopol der Opiumproduktion und verkaufte die Droge offiziell an jeden, der nach ihr fragte. Und weißt du, wo?«
»Keine Ahnung.«
»Dort, wo die meisten Abhängigen ein und aus gingen. In Läden gleich bei den staatlichen Entzugsanstalten. So ist das eben mit der Ethik. Aber ich erzähle erst mal weiter.
Nachdem die Kommunistische Partei aus der Regierung in Paris ausgeschieden war, setzte sich Generalsekretär Maurice Thorez bei Ho Chi Minh für das Leben der französischen Kriegsgefangenen ein, die von den Vietminh nur als lästige Reisesser betrachtet und weitgehend ihrem Schicksal - dem Tod - überlassen wurden. Thorez schickte auf dem mühseligen Umweg über Moskau, die Mongolei und China an Ho die einfache Meldung:
>Verhindern Sie den Tod der Gefangenen. Indoktriniert sie und befreit sie, sobald sie gute Propagandisten geworden sind.<
Hö Chi Minh ging auf die Bitte der KPF ein und gab den Auftrag, die Gefangenen >umzuerziehen<. So erhielt Politkommissar Freddy Bonfort den Auftrag, sich auf den langen Fußmarsch nach Nordvietnam zu begeben und dort die französischen Gefangenen zu >guten Propagandisten des
Kampfes gegen die Kolonien< zu erziehen.
Vor seiner Ankunft im Lager 13 waren mehr als neunzig Prozent der Gefangenen innerhalb eines Jahres an unterschiedlichen Krankheiten gestorben. Die zivilisationsgewöhnten Männer waren dem Leben in der Natur nicht gewachsen.
Freddy Bonfort schreibt:
>Mit meinen auf dem Land erworbenen Kenntnissen versuchte ich, den Gefangenen das Leben zu erleichtern und ihnen Hoffnung zu geben, Hoffnung auf das Paradies (auf Erden), Hoffnung, die ihre christliche Religion als Elixier des Lebens und Motiv des Handelns beschreibt. Ich gab ihnen Hoffnung, indem ich als Köder für alle, die in der politischen Erziehung Fortschritte machten, Listen über diese Fortschritte führte, die ein Weg in die Freiheit sein konnten. Und tatsächlich wurden drei Gruppen innerhalb der zweieinhalb Jahre meiner Arbeit im Lager nach Frankreich in ihre Freiheit entlassen.
Zunächst versuchte ich die Augen der Gefangenen für das Unrecht zu öffnen, das sie selbst oder ihresgleichen in der Kolonie und im Krieg gegen die Vietnamesen begangen hatten s ie
Weder Jacques noch Claude hatten je einen Krieg erlebt, vor Kugeln gebebt, den Tod gesehen. Sie wussten zwar, dass jeder Krieg Grauen hinterlässt, doch den ganzen Schrecken hatten sie lange nicht wahrhaben wollen.
»Wenn ich darüber nicht in der Biografie des heute in Kalifornien lebenden vietnamesischen Komponisten Pham Zuy gelesen hätte«, sagte Claude, »würde ich die Geschichten, die Freddy da andeutet, als kommunistische Propaganda abtun. Gut, die Deutschen haben in Frankreich während des Krieges grässlich gewütet, denk nur an Ouradour, wo sie die Bevölkerung in eine Kirche ge sperrt und umgebracht haben.«
»Denk nur an die Folterknechte der französischen Armee in Algerien!«, warf Jacques ein. »Aber was hat dein Komponist
geschrieben?«
»Die Frauen in der Gegend von Quang Binh, wo er herstammt, seien von französischen Soldaten zu zweihundert Prozent vergewaltigt worden. Zweihundert Prozent, damit meint er: In allen Familien waren eine Mutter, eine Schwester, eine Tochter mindestens jeweils zwei Mal entehrt worden. Und als die Bauern in Quang Tri sich weigerten, Freiheitskämpfer unter ihnen zu verraten, führten französische Soldaten zwölf vietnamesische Mütter, die ein Kind auf dem Arm trugen, an das Flussufer und befahlen ihnen, die Babys zu ertränken. Als die Frauen sich weigerten, wurden Mütter und Kinder erschossen und ins fließende Wasser geworfen.«
Jacques schwieg. Er schüttelte den Kopf, sagte schließlich nur: »Grässlich, einfach grässlich. Kein Tier würde zu so etwas fähig sein.«
Freddy Bonfort schrieb:
»Vielleicht werde ich jetzt von jenen zum Henker erklärt, die von französischen Gräueltaten ablenken wollen. Vergessen wir nicht, dass Berichte über die medizinischen Untersuchungen der Soldaten, die aus französischen Gefangenenlagern in Vietnam zurückgekehrt waren, vom Gesundheitsdienst der Armeen als >Militärgeheimnis< weggeschlossen worden sind. Und weshalb verweigerte das Ministerium den Veteranen den
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