Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
haben würde - Getränke und Speisen inklusive. Die Bordellwirtin stimmte zu. Eine Woche später holten vier Leute aus unserer Gruppe, darunter Hoa und meine Freundin Thi Lien, die Holzkiste ab und fuhren zu einem verabredeten Treffpunkt auf dem Land, etwa zehn Kilometer außerhalb von Saigon, um die Granaten an Soldaten des Vietminh zu übergeben. Alles lief nach Plan. Doch
kaum waren sie an ihrem Ziel angekommen, schlug ein begeisterter Vietminh-Kämpfer aus Übermut vor, eine Granate aus der Kiste zu nehmen und zu demonstrieren, weshalb er als der beste Granatenwerfer der Untergrundarmee galt. Er zog den Stift, der die Granate sicherte heraus, und sie explodierte noch in seiner Hand, woraufhin die ganze Kiste in die Luft flog und einige Vietminh, wie auch die vier Mitglieder unserer Gruppe, tötete.
Der Körper meiner Geliebten Thi Lien wurde in viele Stücke zerrissen, während ich mit dem glücklich und befriedigt aus dem Bordell zurückgekehrten Unteroffizier im Kolonialklub saß und er mir erzählte, dass er die Bordellwirtin reingelegt hätte. Er war von der Wache erwischt worden, als er Granaten stehlen wollte. Beim Verhör brach er zusammen und packte aus. Sein Hauptmann ließ ihn jedoch nicht einsperren, sondern schlug ihm ein besonders perfides Geschäft vor: Eine Woche Urlaub im Bordell gegen eine Kiste präparierter Granaten.
Als er zugestimmt hatte, beauftragte der Hauptmann den Waffenmeister der Kompanie, aus allen Granaten den Mechanismus auszubauen, der die Explosion verzögert. Mit ein wenig Farbe wurde die Manipulation, auch für einen Fachmann nicht erkennbar, übertüncht. Als der Unteroffizier mir davon erzählte und mich vor Freude zum Essen einlud, wo doch sonst immer ich die Zeche bezahlt hatte, glaubte ich, noch über genügend Zeit für eine Warnung zu verfügen. Die Expbsion, so habe ich später unzählige Male hin und her gerechnet, könnte just in dem Moment stattgefunden haben, in dem ich auf seine Kosten das Glas erhob.
Der Schock über den Tod meiner Geliebten löste in mir eine blinde Wut aus, die ich als Klarheit des Eenkens und Logik des Handels interpretierte. Ich packte einen Rucksack. Innerhalb von wenigen Stunden war ich in den Reisfeldern südlich von Saigon auf der anderen Seite des Spiegels angekommen. Bei den Rebellen. <«
Jacques legte, als er diese Passage gelesen hatte, den Bericht zur Seite und bestellte sich einen Kaffee. Für einen Moment sah er gedankenverloren vor sich hin. Dann sagte er: »Versuch mal, dich in Freddy Bonfort hineinzuversetzen. Einen Mann, der von den Vietminh begeistert aufgenommen, zum Politkommissar ernannt und mit der Aufgabe betraut wird, einen Propaganda-Sender gegen die französischen Truppen aufzubauen. Sein Gehalt betrug zwei Kilo Reis pro Tag.«
»Das fällt mir schwer«, sagte Claude, »aber erzähl bitte weiter.«
»Freddy lebte also von nun an wie ein Vietminh, kleidete sich wie ein Vietminh, trug Sandalen wie ein Vietminh. Die Bäuerinnen brachten ihm bei, aus Kräutern ein Gebräu gegen Malaria zu kochen, aus anderen Pflanzen einen Tee gegen Durchfall aufzubrühen und mit dem Brei aus gestampftem Ingwer und scharfem Paprika einen antiseptischen Wundverband anzulegen.
An den gemächlichen Abenden im Dorf, in dem es keinen Strom gab, lernte Freddy die >braune Fee< kennen. Ein alter Vietnamese führte ihn in die Geheimnisse ein. Er ließ Freddy zuschauen, wie er die Pfeife zubereitete: Er drehte aus den Krümeln, die vor ihm lagen, ein kaum einen Zentimeter großes Kügelchen, durchstach es in der Mitte mit einer Nadel und legte es auf den kleinen Pfeifenkopf, den er mit einem glühenden Stückchen Kohle erhitzte. Dann saugte er tief an dem langen Stil. Ein einziger langer Zug würde dem Novizen beim ersten Mal reichen, sagte er. Am nächsten Abend waren es zwei Züge. Nach zwei Wochen fünf - und das reichte für eine Nacht voller Träume.
>Opium stimmt den Menschen friedlich<, hat Freddy geschrieben. Nie habe er einen Streit oder gar eine Schlägerei in einer Opiumhölle erlebt, wie die Hypokriten es nennen.«
Jacques sah auf, als der Kellner ihm den Kaffee brachte, und
gab gleich eine weitere Bestellung auf: Fromage blanc, wie er in Lyon gegessen wird, mit Creme fraiche und Schnittlauch, wobei der weiße Käse frisch vom Tage sein muss.
»Damit hatte Freddy schon Recht«, sagte er zu Claude.
»Klar hat er Recht. Opium stimmt friedlich. Im Alkoholsuff hat schon so mancher seine Alte erschlagen«, lachte Richter
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