Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
es.
Kriegstreiber versuchen hier, einen unbequemen Wissenschaftler, einen pazifistischen Gegner des Vietnam-Abenteuers der Amerikaner, von seinem Posten als Professor für Asienkunde zu vertreiben. Hätte ich vorausgesehen, wie intolerant die Öffentlichkeit in Frankreich ist, welche Hetzjagd sich wegen eines pazifistischen Flugblatts entfalten würde, hätte ich darauf verzichtet, Jean-Paul Sartres Manifest mit meinem vollen Namen zu unterschreiben.
Auch ich habe in meiner Jugend Fehler begangen. Der erste mag mein Wunsch - als Dreijähriger - gewesen sein, General zu werden. Und heute würde ich wohl zugeben, meinen zweiten Irrtum als Zweiundzwanzigjähriger begangen zu haben, damals, als ich nach Vietnam reiste.
Ja, ich habe als Politischer Kommissar in einem Umerziehungslager der Vietminh gearbeitet. Aber ich habe nie jemandem ein Haar gekrümmt, nie einen Menschen geschlagen, geschweige denn erschossen. Im Gegenteil, die Kommunistische Partei Frankreichs, der ich damals angehörte, hat mich mit dem geheimen Auftrag nach Indochina geschickt, Menschenleben zu retten.«
Jacques las die Aufzeichnungen von Freddy Bonfort, die der zu seiner Verteidigung geschrieben hatte, mit wachsendem Interesse, schließlich sogar mit Spannung. Er erinnere sich, dass 1946, als der Krieg gegen die Vietminh ausbrach, die Kommunistische Partei Frankreichs den Verteidigungsminister in der Regierung in Paris gestellt hatte.
»Politik kann doch pervers sein«, sagte er beim Abendessen im Bistro zu seinem Freund Claude: »Da unterstützt die KPF in ihrem Parteiprogramm den Antikolonialismus, aber kaum ist sie an der Macht, schickt sie Truppen, die um den Erhalt von Vietnam als Kolonie kämpfen.«
»Was sagt uns das?« überlegte Claude. »Entweder klingen Ideen heroisch und visionär, entpuppen sich aber in der Wirklichkeit der Politik als wirklichkeitsfremd, oder hehre Ideale entsprechen zwar unserer Ethik, aber Politikern an der Macht fehlt der Mut, ethische Vorstellungen umzusetzen.«
»Oder alles geschieht aus Angst, die Macht zu verlieren«, fügte Jacques hinzu.
»Na ja, die reine Lehre kannst du nirgends umsetzen. Politik ist immer Kompromiss.«
Jacques berichtete weiter über seine Lektüre: »Dieser Freddy Bonfort, aus kleinen Verhältnissen in Lothringen stammend, hat dank einer kleinen Erbschaft, die seine Mutter gemacht hatte, als erster Spross der Familie eine höhere Schule besucht, ein katholisches Jesuiten-Internat, wo ein Pater ihm die Augen geöffnet hat über die reaktionäre Regierung von Marschall Petain, der mit Hitler paktierte. Unter der Anleitung dieses Paters ist Freddy der Katholischen Schülerjugend beigetreten.«
»Ach, in solch einer Schule bin ich auch groß geworden«, erinnerte sich Richter Claude. »Da haben wir Lieder gesungen wie: >Faul ist die Welt, verdammt ist die Welt, sterben wird die Welt, und auf ihren Trümmern bauen wir die Stadt von Jesus, Gottes Sohn, unserem König. Gestärkt durch unseren Glauben folgen wir unseren Brüdern im Kampf.< Und wenn du anschließend die >Internationale< auswendig lernst, wohlgemerkt, auch das unter Anleitung eines Paters, bist du als Fünfzehn- oder Sechzehnjähriger schnell davon überzeugt, sie verbreite eine christliche Botschaft.«
Jacques: »An der Universität Straßburg hat Freddy von der Theologie zur Philosophie gewechselt, vom Katholizismus zum Kommunismus, hat schon bald eine führende Position bei der Kommunistischen Jugend eingenommen und ist für eine Aufgabe im Untergrund vorbereitet worden. Dann ist er offiziell aus der Partei ausgetreten und vom Erziehungsminister in Paris
als Philosophielehrer nach Saigon geschickt worden. Dort sollte er für die KPF Kontakt mit den Freiheitskämpfern des Vietminh aufnehmen.«
Jacques zog aus seiner Tasche ein paar zerknitterte Manuskriptseiten und sagte: »Ich lese dir am besten mal vor, wie Freddy Bonfort die ersten Eindrücke in Vietnam schildert: >In Saigon, das damals so gemächlich wirkte wie Aix oder Vichy, also wie ein französischer Badeort des neunzehnten Jahrhunderts, habe ich meine Unterrichtsverpflichtung am Lycee Marie-Curie aufgenommen, konnte mich aber nicht an die fremde, mir in vielem unmenschlich erscheinende Welt gewöhnen.
An den Kiosken hingen Postkarten zum Verkauf aus, auf denen abgeschlagene Köpfe der ersten Revolutionäre aus Annam abgebildet waren; die Kolonialisten sangen in ihren Clubs nur >Tonkiki, Tonkiki, ma Tonkinoise< - weil ihnen die Schwüle nicht nur den Kopf
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