Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
vernebelte, sondern auch die Lust auf die zarten Asiatinnen in ihnen weckte, die leicht nachgaben. Die Legionäre lebten ihre Gewalt an Kaufleuten und Vietnamesinnen aus, so als gäbe es keine ethische Ordnung.
Unsere Abteilung für subversive Aufgaben bei der KP in Paris hatte mir empfohlen, erst nach einer Zeit des Einlebens Kontakt mit dem Vertreter des in den Untergrund abgetauchten vietnamesischen Lungenfacharztes Pham Ngoc Thach, einem ehemaligen Freimaurer, aufzunehmen.
Trotz des Empfehlungsschreibens von Generalsekretär Thorez ist es mir nicht leicht gefallen, das Vertrauen der Untergrundgruppe zu gewinnen. Doch als es mir nach einer Woche der vorsichtigen Annäherung gelungen war, freundete ich mich bald mit einem jungen Wissenschaftler an, der auch heute noch, als renommierter Professor und Asienkenner, wegen seines Namens gehänselt wird. Er heißt Poulet - für einen Mann ist es wirklich nicht angenehm, Hühnchen genannt zu werden.<«
»Poulet!«, rief Claude lachend, »den gibt's hier immer noch. Das Hühnchen wurde Professor in Lyon. Und hat Freddy hierher an die Uni geholt.«
»Damals, in Saigon lebte Poulet anders«, sagte Jacques. »Er hatte ein Forschungsstipendium und wohnte in der großbürgerlichen Villa einer gebildeten vietnamesischen Familie, die nach außen hin ein geordnetes Leben mit zahlreichen Hausangestellten und Gärtnern führte, sich aber insgeheim dem Kampf für die Unabhängigkeit Indochinas verschrieben hatte. Freddy wurde schnell ein fähiger Propagandist und schrieb für Flugblätter die glühendsten Texte gegen den Kolonialismus, erhielt dann aber bald den Auftrag, im Kolonialclub Freundschaft mit französischen Offizieren zu schließen, um sie auszuhorchen.
Als Poulets Stipendium auslief, vermachte er Freddy sein großes, helles Gartenzimmer im Hause seiner vietnamesischen Gastgeber. Zur Familie gehörten zwei erwachsene Kinder, beide Mitglieder einer Untergrundgruppe. Sohn Hoa, zwei Jahre älter als Freddy, arbeitete in der Hafenverwaltung, und zwischen der ein Jahr jüngeren, bildhübschen Tochter Thi Lien und dem kommunistischen Philosophielehrer gab es bald sehr freundschaftliche Bande, die sie aber zunächst vor der Familie geheim hielten. Thi Lien unterrichtete, wie auch Freddy, am Lycee Marie-Curie, was damals, für eine Frau und eine Vietnamesin, äußerst ungewöhnlich war.«
Jacques sah wieder auf die Seiten in seiner Hand: »Freddy Bonfort schreibt über seine Empfindungen:
>Mit Anfang zwanzig öffnet sich ein junger Mensch noch leicht den Utopien von Gerechtigkeit und Liebe, von Vernunft und Gefühl. Beide Elemente trieben mich in Saigon an und beflügelten mich einmal in dem Bemühen, an der Entkolonialisierung Indochinas so intensiv wie nur möglich teilzuhaben, und erlaubten mir zum anderen, die junge Frau, weil sie Vietnamesin war und damit Inhalt meines politischen
Kampfes, gleich doppelt zu lieben.
Kaum war ich bei Thi Liens Eltern eingezogen, ließ sich unsere Beziehung nicht mehr verheimlichen; denn wir versuchten, wann immer es möglich war, allein zu sein, sei es am Tag, sei es in der Nacht. Vielleicht bleibt diese Liebe in meiner Erinnerung für immer die einzige wirkliche tiefe Beziehung, die ich zu einer Frau empfunden habe. Vielleicht überhaupt zu einem anderen Menschen. Wir ergänzten uns vollkommen, sowohl im Austausch von Gedanken wie im körperlichen Verlangen. Doch die Liebe dauerte nur kurz. Der Tod, für den ich mich heute noch mitverantwortlich fühle, holte sie in einem Augenblick, in dem unsere Zuneigung nicht mehr zu steigern war.
Der Kolonialclub in der Rue Catinat entpuppte sich als eine wahre Fundgrube für militärische Informationen. Und nachdem ich mit einem hoch verschuldeten Unteroffizier Freundschaft geschlossen hatte, gelang es mir sogar, unserer Gruppe den Zugang zu Waffen zu ermöglichen, mit seiner Hilfe. Da der Unteroffizier sein ganzes Geld in ein vietnamesisches Bordell trug, weil er sich in eine Sechzehnjährige verliebt hatte, die dort arbeitete, verschaffte ich ihm scheinheilig Kontakt zu Leuten, die ihm helfen könnten, das Mädchen für sich allein zu besitzen. Kurzum, die Bordellmutter erklärte ihm, gegen die Lieferung von Handgranaten werde sie das Mädchen für ihn reservieren.
Eines Tages erschien er mit einer ganzen Holzkiste voll Handgranaten im Bordell und erklärte der Besitzerin, diese Kiste werde er abliefern, sobald er eine Woche Urlaub mit seinem Mädchen hier im teuersten Prachtzimmer verbracht
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