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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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wie so oft die Hand auf den Magen legte.
    »Haben Sie Schmerzen?« fragte Lutz.
    »Immer«, antwortete Bärlach.
    Dann schwiegen sie wieder, und Lutz dachte: Ich sage es ihm nachmittags. Blatter fuhr langsam.
    Alles versank hinter einer weißen Wand, so regnete es. Trams, Automobile schwammen irgendwo in diesen ungeheuren, fallenden Meeren herum, Lutz wußte nicht, wo sie waren, die triefenden Scheiben ließen keinen Durchblick mehr zu. Es wurde immer finsterer im Wagen. Lutz steckte eine Zigarette in Brand, blies den Rauch von sich, dachte, daß er sich im Fall Gastmann mit dem Alten in keine Diskussion einlassen werde, und sagte:
    »Die Zeitungen werden die Ermordung bringen, sie ließ sich nicht mehr verheimlichen.«
    »Das hat auch keinen Sinn mehr«, antwortete Bärlach, »wir sind ja auf eine Spur gekommen.«
    Lutz drückte die Zigarette wieder aus: »Es hat auch nie einen Sinn gehabt.«
    Bärlach schwieg, und Lutz, der gern gestritten hätte, spähte aufs neue durch die Scheiben. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Sie waren schon in der Allee. Der Schloßhaldenfriedhof schob sich zwischen den dampfenden Stämmen hervor, ein graues, verregnetes Ge mäuer. Blatter fuhr in den 72
    Hof, hielt. Sie verließen den Wagen, spannten die Schirme auf und schritten durch die Gräberreihen.
    Sie brauchten nicht lange zu suchen. Die Grab-steine und die Kreuze wichen zurück, sie schienen einen Bauplatz zu betreten. Die Erde war mit frischausgehobenen Gräbern durchsetzt, Latten lagen darüber. Die Feuchtigkeit des nassen Grases drang durch die Schuhe, an denen die lehmige Erde klebte. In der Mitte des Platzes, zwischen all diesen noch unbewohnten Gräbern, auf deren Grund sich der Regen zu schmutzigen Pfützen sammelte, zwischen provisorischen Holzkreuzen und
    Erdhügeln, dicht mit schnellverfaulenden Blumen und Kränzen überhäuft, standen Menschen um ein Grab. Der Sarg war noch nicht hinabgelassen, der Pfarrer las aus der Bibel vor, neben ihm, den Schirm für beide hochhaltend, der Totengräber in einem lächerlichen frackartigen Arbeitsgewand, frierend von einem Bein auf das andere tretend.
    Bärlach und Lutz blieben neben dem Grabe stehen.
    Der Alte hörte weinen. Es war Frau Schönler, unförmig und dick in diesem unaufhörlichen Regen, und neben ihr stand Tschanz, ohne Schirm, im hochgeschlagenen Regenmantel mit
    herunterhängendem Gürtel, einen schwarzen, steifen Hut auf dem Kopf. Neben ihm ein Mädchen, blaß, ohne Hut, mit blondem Haar, das in nassen Strähnen hinunterfloß, die Anna, wie Bärlach unwillkürlich dachte. Tschanz verbeugte sich, 73
    Lutz nickte, der Kommissär verzog keine Miene, Er schaute zu den ändern hinüber, die ums Grab standen, alles Polizisten, alle in Zivil, alle mit den gleichen Regenmänteln, mit den gleichen steifen schwarzen Hüten, die Schirme wie Säbel in den Händen, phantastische Totenwächter, von irgendwo herbeigeblasen, unwirklich in ihrer Biederkeit, Und hinter ihnen, in gestaffelten Reihen, die Stadtmusik, überstürzt zusammengetrommelt, in schwarz-roten Uniformen, verzweifelt bemüht, die gelben Instrumente unter den Mänteln zu schützen.
    So standen sie alle um den Sarg herum, der dalag, eine Kiste aus Holz, ohne Kranz, ohne Blumen, aber dennoch das ein zige Warme, Geborgene in diesem unaufhörlichen Regen, der gleichförmig plätschernd niederfiel, immer mehr, immer unendlicher. Der Pfarrer redete schon lange nicht mehr. Niemand bemerkte es. Nur der Regen war da, nur den Regen hörte man. Der Pfarrer hustete.
    Einmal. Dann mehrere Male. Dann heulten die Bässe, die Posaunen, die Waldhörner, Kornetts, die Fagotts auf, stolz und feierlich, gelbe Blitze in den Regenfluten; aber dann sanken auch sie unter, verwehten, gaben es auf. Alle verkrochen sich unter die Schirme, unter die Mäntel. Es regnete immer mehr. Die Schuhe versanken im Kot, wie Bäche strömte es ins leere Grab. Lutz verbeugte sich und trat vor. Er schaute auf den nassen Sarg und verbeugte sich noch einmal.
    74
    »Ihr Männer«, sagte er irgendwo im Regen, fast unhörbar durch die Wasser Schleier hindurch: »Ihr Männer, unser Kamerad Schmied ist nicht mehr.«
    Da unterbrach ihn ein wilder, grölender Ge sang:
    »Der Tüfel geit um,
    der Tüfel geit um,
    er schlat die Menscher alli krumm!«
    Zwei Männer in schwarzen Fräcken kamen über den Kirchhof getorkelt. Ohne Schirm und Mantel waren sie dem Regen schutzlos preisgegeben. Die Kleider klebten an ihren Leibern. Auf dem Kopf hatte jeder einen Zylinder,

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