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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Gastmann mit einem Mord zu belasten. Wie du nun in Grindelwald den blauen Mercedes sahst, wußtest du deinen Weg. Du hast den Wagen für die Nacht auf den Donnerstag gemietet. Ich ging nach Grindelwald, um das festzustellen. Das weitere ist einfach: du fuhrst über Ligerz nach Schernelz und ließest den Wagen im Twannbachwald stehen, du durchquertest den Wald auf einer Abkürzung durch die Schlucht, wodurch du auf die Straße Twann-Lamboing gelangtest. Bei den Felsen wartetest du Schmied ab, er erkannte dich und stoppte
    verwundert. Er öffnete die Türe, und dann hast du ihn getötet. Du hast es mir ja selbst erzählt. Und nun hast du, was du wolltest: seinen Erfolg, seinen Posten, seinen Wagen und seine Freundin.«
    Tschanz hörte dem unerbittlichen Schachspieler zu, der ihn matt gesetzt hatte und nun sein grauenhaftes Mahl beendete. Die Kerzen brannten unruhiger, das Licht flackerte auf den Gesichtern der zwei Männer, die Schatten verdichteten sich.
    Totenstille herrschte in dieser nächtlichen Hölle, die Dienerinnen kamen nicht mehr. Der Alte saß jetzt unbeweglich, er schien nicht einmal mehr zu atmen, das flackernde Licht umfloß ihn mit immer neuen Wellen, rotes Feuer, das sich am Eis seiner Stirne und seiner Seele brach.
    »Sie haben mit mir gespielt«, sagte Tschanz langsam.
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    »Ich habe mit dir gespielt«, antwortete Bärlach mit furchtbarem Ernst. »Ich konnte nicht anders.
    Du hast mir Schmied getötet, und nun mußte ich dich nehmen.«
    »Um Gastmann zu töten«, ergänzte Tschanz, der mit einem Male die ganze Wahrheit begriff.
    »Du sagst es. Mein halbes Leben habe ich
    hingegeben, Gastmann zu stellen, und Schmied war meine letzte Hoffnung, Ich hatte ihn auf den Teufel in Menschengestalt gehetzt, ein edles Tier auf eine wilde Bestie. Aber dann bist du gekommen, Tschanz, mit deinem lächerlichen, verbrecherischen Ehrgeiz, und hast mir meine einzige Chance vernichtet. Da habe ich dich genommen, dich, den Mörder, und habe dich in meine furchtbarste Waffe verwandelt, denn dich trieb die Ve rzweiflung, der Mörder mußte einen anderen Mörder finden. Ich machte mein Ziel zu deinem Ziel.«
    »Es war für mich die Hölle«, sagte Tschanz.
    »Es war für uns beide die Hölle«, fuhr der Alte mit fürchterlicher Ruhe fort. »Von Schwendis Da-zwischenkommen trieb dich zum Äußersten, du mußtest auf irgendeine Weise Gastmann als Mörder entlarven, jedes Abweichen von der Spur, die auf Gastmann deutete, konnte auf deine führen.
    Nur noch Schmieds Mappe konnte dir helfen. Du wußtest, daß sie in meinem Besitz war, aber du wußtest nicht, daß sie Gastmann bei mir geholt hatte. Darum hast du mich in der Nacht vom 142
    Samstag auf den Sonntag überfallen. Auch beun-ruhigte dich, daß ich nach Grindelwald ging.«
    »Sie wußten, daß ich es war, der Sie überfiel?«
    sagte Tschanz tonlos.
    »Ich wußte das vom ersten Moment an. Alles was ich tat, geschah mit der Absicht, dich in die äußerste Verzweiflung zu treiben. Und wie die Verzweiflung am größten war, gingst du hin nach Lamboing, um irgendwie die Entscheidung zu suchen.«
    »Einer von Ga stmanns Dienern fing an zu
    schießen«, sagte Tschanz.
    »Ich habe Gastmann am Sonntagmorgen gesagt, daß ich einen schicken würde, ihn zu töten.«
    Tschanz taumelte. Es überlief ihn eiskalt. »Da haben Sie mich und Gastmann aufeinandergehetzt wie Tiere!«
    »Bestie gegen Bestie«, kam es unerbittlich vom andern Lehnstuhl her.
    »Dann waren Sie der Richter und ich der Henker«, keuchte der andere.
    »Es ist so«, antwortete der Alte.
    »Und ich, der ich nur Ihren Willen ausführte, ob ich wollte oder nicht, bin nun ein Verbrecher, ein Mensch, den man jagen wird!«
    Tschanz stand auf, stützte sich mit der rechten, unbehinderten Hand auf die Tischplatte. Nur noch eine Kerze brannte. Tschanz suchte mit brennen-den Augen in der Finsternis des Alten Umrisse zu 143
    erkennen, sah aber nur einen unwirklichen, schwarzen Schatten. Unsicher und tastend machte er eine Bewegung gegen die Rocktasche.
    »Laß das«, hörte er den Alten sagen. »Es hat keinen Sinn. Lutz weiß, daß du bei mir bist, und die Frauen sind noch im Haus.«
    »Ja, es hat keinen Sinn«, antwortete Tschanz leise.
    »Der Fall Schmied ist erledigt«, sagte der Alte durch die Dunkelheit des Raumes hindurch. »Ich werde dich nicht verraten. Aber geh! Irgendwohin!
    Ich will dich nie mehr sehen. Es ist genug, daß ich einen richtete. Geh! Geh!«
    Tschanz ließ den Kopf sinken und ging langsam hinaus,

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