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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Tschanz mitten durch die zurückweichenden Bauern in den Wagen.
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    »Da liegen sie alle drei«, sagte Lutz am ändern Morgen und wies auf die Toten, aber seine Stimme klang nicht triumphierend, sie klang traurig und müde.
    Von Schwendi nickte konsterniert. Der Oberst war mit Lutz im Auftrag seiner Klienten nach Biel gefahren. Sie hatten den Raum betreten, in dem die Leichen lagen. Durch ein kleines, vergittertes Fenster fiel ein schräger Lichtstrahl. Die beiden standen da in ihren Mänteln und froren. Lutz hatte rote Augen. Die ganze Nacht hatte er sich mit Gastmanns Tagebüchern beschäftigt, mit nur sehr schwer leserlichen stenografierten Dokumenten.
    Lutz vergrub seine Hände tiefer in die Taschen.
    »Da stellen wir Menschen aus Angst voreinander Staaten auf, von Schwendi«, hob er fast leise wieder an, »umgeben uns mit Wächtern jeder Art, mit Polizisten, mit Soldaten, mit einer öffentlichen Meinung; aber was nützt es uns?« Lutzens Gesicht verzerrte sich, seine Augen traten hervor, und er lachte ein hohles, meckerndes Gelächter in den Raum hinein, der sie kalt und warm umgab. »Ein Hohlkopf an der Spitze einer Großmacht, Nationalrat, und schon werden wir weggeschwemmt; ein Gastmann, und schon sind unsere Ketten
    durchbrochen, die Vorposten umgangen.«
    Von Schwendi sah ein, daß es am besten war, den Untersuchungsrichter auf realen Boden zu 130
    bringen, wußte aber nicht recht, wie. »Unsere Kreise werden eben von allen möglichen Leuten in gerade zu schamloser Weise ausgenützt«, sagte er endlich.
    »Es ist peinlich, überaus peinlich.«
    »Niemand hatte eine Ahnung«, beruhigte ihn Lutz.
    »Und Schmied?« fragte der Nationalrat, froh, auf ein Stichwort gekommen zu sein.
    »Wir haben bei Gastmann eine Mappe gefunden, die Schmied gehörte. Sie enthielt Angaben über Gastmanns Leben und Vermutungen über dessen Verbrechen. Schmied versuchte, Gastmann zu stellen. Er tat dies als Privatperson. Ein Fehler, den er büßen mußte; denn es ist bewiesen, daß Gastmann auch Schmied ermorden ließ: Schmied muß mit der Waffe getötet worden sein, die einer der Diener in der Hand hielt, als ihn Tschanz erschoß. Die Untersuchung der Waffe hat dies sofort bestätigt. Auch der Grund seiner Ermordung ist klar: Gastmann fürchtete, durch Schmied entlarvt zu werden. Schmied hätte sich uns anvertrauen sollen. Aber er war jung und überaus ehrgeizig.«
    Bärlach betrat die Totenkammer. Als Lutz den Alten sah, wurde er melancholisch und verbarg die Hände wieder in seinen Taschen. »Nun, Kommissär«, sagte er und stand von einem Bein auf das andere, »es ist schön, daß wir uns hier treffen. Sie 131
    sind rechtzeitig von Ihrem Urlaub zurück, und ich kam auch nicht zu spät mit meinem Nationalrat hergebraust. Die Toten sind serviert. Wir haben uns viel gestritten, Bärlach, ich war für eine ausge-klügelte Polizei mit allen Schikanen, am liebsten hätte ich sie noch mit der Atombombe versehen, und Sie, Kommissär, mehr für etwas Menschliches, für eine Art Landjägertruppe aus biederen Großvätern. Begraben wir den Streit. Wir hatten beide unrecht. Tschanz hat uns ganz unwissenschaftlich mit seinem bloßen Revolver widerlegt.
    Ich will nicht wissen, wie. Nun gut, es war Not-wehr, wir müssen ihm glauben, und wir dürfen ihm glauben. Die Beute hat sich gelohnt, die Er-schossenen verdienen tausendmal den Tod, wie die schöne Redensart heißt, und wenn es nach der Wissenschaft gegangen wäre, schnüffelten wir jetzt bei fremden Diplomaten herum. Ich werde Tschanz befördern müssen; aber wie Esel stehen wir da, wir beide. Der Fall Schmied ist abgeschlossen.«
    Lutz senkte den Kopf, verwirrt durch das rätselhafte Schweigen des Alten, sank in sich zusammen, wurde plötzlich wieder der korrekte, sorgfältige Beamte, räusperte sich und wurde, wie er den noch immer verlegenen von Schwendi bemerkte, rot; dann ging er, vom Oberst begleitet, langsam hinaus, in das Dunkel irgendeines Korridors und ließ Bärlach allein zurück. Die Leichen lagen auf Trag-132
    bahren und waren mit schwarzen Tüchern zugedeckt. Von den kahlen grauen Wänden blätterte der Gips. Bärlach trat zu der mittleren Bahre und deckte den Toten auf. Es war Gastmann. Bärlach stand leicht über ihn gebeugt, das schwarze Tuch noch in der linken Hand. Schweigend schaute er auf das wächserne Antlitz des Toten nieder, auf den immer noch heiteren Zug der Lippen, doch waren die Augenhöhlen jetzt noch tiefer, und es lauerte nichts Schreckliches mehr in

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