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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Capella, Aldeba-ran und die Feuerflamme des Jupiters am Himmel.
    Die Straße wandte sich nach Norden, und vor ihnen zeichneten sich die dunklen Linien des 36
    Spitzbergs und des Chasserals ab, zu deren Füßen einige Lichter flackerten, die Dörfer Lamboing, Diesse und Nods.
    Da bogen die Wagen vor ihnen nach links in einen Feldweg ein, und Tschanz hielt. Er drehte die Scheibe nieder, um sich hinausbeugen zu können.
    Im Felde draußen erkannten sie undeutlich ein Haus, von Pappeln umrahmt, dessen Eingang erleuchtet war und vor dem die Wagen hielten. Die Stimmen drangen herüber, dann ergoß sich alles ins Haus, und es wurde still. Das Licht über dem Eingang erlosch. »Sie erwarten niemand mehr«, sagte Tschanz.
    Bärlach stieg aus und atmete die kalte Nachtluft.
    Es tat ihm wohl, und er schaute zu, wie Tschanz den Wagen über die rechte Straßenseite hinaus halb in die Matte steuerte, denn der Weg nach Lamboing war schmal. Nun stieg auch Tschanz aus und kam zum Kommissär. Sie schritten über den Feldweg auf das Haus im Felde zu. Der Boden war lehmig, und Pfützen hatten sich angesammelt, es hatte auch hier geregnet.
    Dann kamen sie an eine niedere Mauer, doch war das Tor geschlossen, das sie unterbrach. Seine rostigen Eisenstangen überragten die Mauer.
    Der Garten war kahl, und zwischen den Pappeln lagen wie große Tiere die Limousinen; Lichter waren keine zu erblicken. Alles machte einen öden Eindruck.
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    In der Dunkelheit erkannten sie mühsam, daß in der Mitte der Gittertüre ein Schild befestigt war.
    An einer Stelle mußte sich die Tafel gelöst haben; sie hing schräg. Tschanz ließ die Taschenlampe aufleuchten, die er vom Wagen mitgenommen hatte: auf dem Schild war ein großes G abgebildet.
    Sie standen wiederum im Dunkeln. »Sehen
    Sie«, sagte Tschanz, »meine Vermutung war richtig. Ich habe ins Blaue geschossen und ins Schwarze getroffen.« Und dann bat er zufrieden:
    »Geben Sie mir jetzt eine Zigarre, Kommissär, ich habe eine verdient.«
    Bärlach bot ihm eine an. »Nun müssen wir noch wissen, was G heißt.«
    »Das ist kein Problem: Gastmann.«
    »Wieso?«
    »Ich habe im Telefonbuch nachgeschaut. Es gibt nur zwei G in Lamboing.«
    Bärlach lachte verblüfft, aber dann sagte er:
    »Kann es nicht auch das andere G sein?«
    »Nein, das ist die Gendarmerie. Oder glauben Sie, daß ein Gendarm etwas mit dem Mord zu tun habe?«
    »Es ist alles möglich, Tschanz.«
    Und Tschanz zündete ein Streichholz an, hatte jedoch Mühe, im starken Wind, der jetzt die Pappeln voller Wut schüttelte, seine Zigarre in Brand zu stecken.

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    Er begriff nicht, wunderte sich Bärlach, warum die Polizei von Lamboing, Diesse und Ligniere nicht auf diesen Gastmann gekommen sei, sein Haus läge doch im offenen Feld, von Lamboing aus leicht zu überblicken, und eine Gesellschaft sei hier in keiner Weise zu verheimlichen, ja geradezu auffallend, besonders in einem so kleinen Jura-Nest. Tschanz antwortete, daß er dafür auch noch keine Erklärung wisse.
    Darauf beschlossen sie, um das Haus herum zu gehen. Sie trennten sich; jeder nahm eine andere Seite.
    Tschanz verschwand in der Nacht, und Bärlach war allein. Er ging nach rechts. Er schlug den Mantelkragen hoch, denn er fror. Er fühlte wieder den schweren Druck auf dem Magen, die heftigen Stiche, und auf seiner Stirne lag kalter Schweiß. Er ging der Mauer entlang und bog dann wie sie nach rechts. Das Haus lag noch immer in völliger Finsternis da.
    Er blieb von neuem stehen und lehnte sich ge-39
    gen die Mauer. Er sah am Waldrand die Lichter von Lamboing, worauf er weiterschritt. Aufs neue änderte die Mauer ihre Richtung, nun nach Westen. Die Hinterwand des Hauses war erleuchtet, aus einer Fensterreihe des ersten Stocks brach helles Licht. Er vernahm die Töne eines Flügels, und wie er näher hinhorchte, stellte er fest, daß jemand Bach spielte.
    Er schritt weiter. Er mußte nun nach seiner Be-rechnung auf Tschanz stoßen, und er sah angestrengt auf das mit Licht überflutete Feld, bemerkte jedoch zu spät, daß wenige Schritte vor ihm ein Tier stand.
    Bärlach war ein guter Tierkenner; aber ein so riesenhaftes Wesen hatte er noch nie gesehen. Ob -
    gleich er keine Einzelheiten unterschied, sondern nur die Silhouette erkannte, die sich von der hel-leren Fläche des Bodens abhob, schien die Bestie von einer so grauenerregenden Art, daß Bärlach sich nicht rührte. Er sah, wie das Tier langsam, scheinbar zufällig, den Kopf wandte und ihn an-starrte. Die runden

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