Der Richter und sein Henker (German Edition)
gerecht sein –, es gibt nur die Freiheit.« Dem hat Bärlach nichts entgegenzusetzen, auch auf die Versicherung des teuflischen Arztes, er werde ihm auf die bloße Versicherung seines Glaubens hin den Tod ersparen. Bärlach schweigt. In Wahrheit will sich Emmenberger nur einen guten Abgang verschaffen – im philosophischen, nicht im kriminalistischen Sinn: Er erkennt, daß eine Freiheit, die sich im Bösen beweist, sich nicht durch die Vernichtung eines Mannes bestätigen kann, der ohnehin am Ende ist. Einer, der im Sterben liegt, ist nicht zu vernichten: So schafft Dürrenmatt die Einführung von Kants Vorstellung von der »Burg der Autonomie« in den Kriminalroman.
Auseinandersetzung mit literarischen Vorbildern
Walter Jens arrangiert am Anfang eines kleinen Aufsatzes über Dürrenmatts Kriminalromane* [* siehe S. 158 dieser Ausgabe] eine Versammlung von Detektiven: Sherlock Holmes, Hercule Poirot, Miss Marple, Maigret, Nero Wolfe, Sam Spade – »da, plötzlich öffnet sich (so nehmen wir an) die Tür, und herein träte ein zigarrenrauchender vierschrötiger Mann, Berndütsch redend, schon ein wenig angekneipt, eher Spottfigur als kaltschnäuziger Spürhund, ein bißchen lächerlich auf jeden Fall inmitten der Lebenskünstler und grandiosen Originale …«. Dürrenmatts Kriminalisten seien zwielichtige Helden, Zwitterwesen, »einfältig und weitläufig, zielstrebig und korrupt, dem Tod verfallen und dem guten Essen auch«; »gebrechlich, angeschlagen, versucht und gezeichnet, haben [sie] ein zweifaches Ziel: vor sich selbst zu bestehen … und … mit Hilfe der Phantasie die kleine, scheinbar berechenbare Wirklichkeit zu verlassen und das Reich der Möglichkeit … zu durchdringen«. Dem ist nur in einem Punkt zu widersprechen. Wie in Armin Arnolds Aufsatz Bärlach, Marlowe und Maigret * [* siehe S. 148 dieser Ausgabe] ist Bärlachs wichtigster Ahne nicht genannt. Angesichts der Tatsache, daß die Dürrenmatt-Literatur in der Regel daran krankt, daß die Interpreten den Autor zu wenig wörtlich nehmen, ist hier festzustellen, daß sie ihn zu wörtlich nehmen. »Ich kannte Glauser zur Bärlach-Zeit nicht«, sagte Dürrenmatt 1978 in einem Interview zu Dieter Fringeli. Daß Bärlach aber die Vergrößerung des Wachtmeisters Studer ins Dämonische ist, steht für mich außer Frage. Auch Glausers Fahnder hatte schon seine Abgründe (womit ich nicht nur die nie aufgeklärte »Bankenaffäre« meine): eine Vater-Figur des von seinem Vater verfolgten Autors, in ihrer ganzen Ambivalenz. Es ist schwer vorstellbar, daß dem kinobesessenen Gymnasiasten FD 1939 ausgerechnet Leopold Lindtbergs Verfilmung von Glausers Wachtmeister Studer mit Heinrich Greller in der Titelrolle entgangen sein sollte.
Die Kriminalgeschichte als Antwort auf die Idylle, das ist gewiß auch ein Aspekt von Dürrenmatts Interesse an dieser Form. Schon in den beiden Bärlach-Romanen strapazierte er sie, dehnte sie gerade noch so weit, daß sie eine naiv auf Spannung gerichtete Aufmerksamkeit nicht verstörte. Die Auflagen (bis heute) beweisen, daß ihm das gelang. In Wahrheit heben sie das Genre auf, indem sie die Grenze zwischen Schuld und Unschuld verwischen (»II n’y a plus de coupables et d’innocents«, es gibt weder Schuldige noch Unschuldige, heißt ein Aufsatz von Robert Abirached aus dem Jahr 1960)* [* abgedruckt in Herkules und Atlas. Lobreden und andere Versuche über Friedrich Dürrenmatt, herausgegeben von Daniel Keel. Diogenes, Zürich, 1990, 1992 (detebe 22534)]. Der Tod bedroht auch den Kommissär. Allerdings sind die Romane nicht nur insofern Aktionen gegen das Idyllische, als in ihnen durch den Einbruch des Verbrechens eine scheinbar heile Welt als Fassade entlarvt wird. Sie richten sich auch gegen die Form des Kriminalromans selbst, gegen die heile Welt des schlüssig und kausal zu lösenden Falls.
Über die Kunst, Kriminalromane zu schreiben
Dürrenmatts Kriminalromane, die von Beginn weg nur bedingt welche waren, sind auch Aktionen gegen die ihm verhaßte bürgerliche hermetische Ästhetik. Zum einen, weil sie zur Zeit ihrer Entstehung zu dem gehörten, was namentlich im deutschen Sprachbereich als Trivialliteratur verachtet war, als Nicht-Kunst. So ist der Schluß aus den Theaterproblemen von 1954 zu verstehen:
»Die Forderungen, welche die Ästhetik an den Künstler stellt, steigern sich von Tag zu Tag, alles ist nur noch auf das Vollkommene aus, die Perfektion wird von ihm verlangt, die man in die Klassiker
Weitere Kostenlose Bücher