Der Richter und sein Henker (German Edition)
als Angehörige der literarischen Kategorie ›Kriminalroman‹ keineswegs aus dem üblichen Rahmen. Dürrenmatt schrieb die ersten beiden, Der Richter und sein Henker und Der Verdacht, 1950 und 1951 – zur Veröffentlichung in Fortsetzungen im ›Beobachter‹. Hätte er damals das Geld nicht gebraucht, wäre Inspektor Bärlach, die Zentralfigur der beiden Romane, wohl nie entstanden.
Einen Kriminalroman kann man nicht ›ins Blaue hinein‹ schreiben; Elisabeth Brock-Sulzer meint, »die Romane wuchsen ihm vorweg unter den Händen, von einem Termin zum andern«. Das mag für die Ausführung der einzelnen Kapitel gelten, aber der Gesamtplan lag in beiden Fällen von Anfang an vor. Die Hauptthematik von Der Richter und sein Henker findet man unter anderem bei Dashiell Hammett, Rex Stout, Raymond Chandler und Georges Simenon. Grundthema: der Kampf zweier Parteien, deren eine ein einzelner Detektiv ist. Die eine Partei versucht, die andere scheinbar legitim loszuwerden, indem sie einen Mord so inszeniert, daß alle Indizien auf die andere Partei als Täter hinweisen.
Meistens stellen die Verbrecher dem ›guten Detektiv‹ solche Fallen. Die gleiche Handlung mit umgekehrten Vorzeichen kommt selten vor, zwingt sie doch den ›Guten‹ zum Gebrauch von verbrecherischen Mitteln. Im Falle eines ganz genialen Verbrechers, dem man sonst nie etwas beweisen könnte, ist der Leser bereit, es dem guten Detektiv zu gestatten, auch mit solchen Mitteln den ›Bösen‹ zur Strecke zu bringen.
Die ›gute‹ Partei, Inspektor Bärlach, ist todkrank, und es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, den Verbrecher Gastmann zu überführen. Gastmann ist durch seine Beziehungen zu internationalen Persönlichkeiten dermaßen geschützt, daß er von der öffentlichen Polizei überhaupt nicht berührt werden kann. Bärlach läßt ihn trotzdem – auf sein privates Risiko hin – durch einen Untergebenen überwachen. Als dieser ermordet wird, bietet sich dem Inspektor die Möglichkeit, Gastmann – der zwar nicht der Mörder ist – dieses Mordes zu überführen. Gastmann merkt, was Bärlach mit ihm vorhat, und ist zum erstenmal in beider jahrzehntelangem Kampf bereit, die Flucht zu ergreifen. Aber Bärlach ist ihm noch einen Schritt voraus: er kennt den wirklichen Mörder. Der Mörder ist interessiert daran, daß Gastmann überführt wird – nur so gerät er selbst nicht in Verdacht. Er fordert Gastmann heraus und gewinnt beim Kugelwechsel. Bärlach hat also Gastmann gerichtet – indem er einen Mörder als Henker verwendete. Eigentlich unfair – aber in diesem Falle und unter diesen Umständen scheint der Zweck die Mittel zu heiligen.
Was für ein Mensch ist dieser Bärlach? In seiner Menschlichkeit erinnert er an Maigret. Wie dieser ist er von altem Schrot und Korn, ist in erster Linie ein konservativer Mensch, der nicht nach juristischen Regeln operiert, der von den modernen Techniken der Kriminologie wenig hält und lieber seiner durch Erfahrung gewitzten Nase und dem gesunden Menschenverstand folgt. Maigret liegt in ständigem Kampfe mit dem Untersuchungsrichter Comeliau, dessen Rolle bei Dürrenmatt der Untersuchungsrichter Lutz übernimmt. Comeliau bleibt bei Simenon eine tote Nummer, da der Franzose mit den Augen Maigrets sieht und der Leser meistens genauso viel weiß wie Maigret selbst. Bärlach weiß – im ersten Roman – mehr als der Leser; und da Dürrenmatt sich nicht auf den Blickpunkt Bärlachs beschränkt, kann er auch das Wesen und die Gedanken des pseudo-fortschrittlichen Lutz genauer charakterisieren.
Bärlach ist Staatsangestellter und als solcher – in seinem spezifischen Beruf – verpflichtet, Gesetzesbrecher zur Strecke zu bringen. Der Instinkt für Gerechtigkeit scheint aber tiefer zu sitzen, obwohl der Kommissar nicht an Gott oder an ein ewiges Leben glaubt. Bärlach ist in dieser Beziehung ein Kollege der Mike Shaynes, Pete MacGraths, Travis McGees und wie sie alle heißen. In den zwanziger und dreißiger Jahren wurde dieser nach außen steinharte, nach innen existentialistisch-nihilistische Detektiv von Hammett erfunden. Die berühmtesten Exemplare sind wahrscheinlich Chandlers Philip Marlowe und dessen Nachfahre, Ross Macdonalds Lew Archer. Diese Detektive haben keine Bindungen; sie besitzen weder Verwandte noch Freunde, nur Bekannte; sie sind geschieden, Liebe ist für sie ein leeres Wort; Geld interessiert sie nur insofern, als es ihnen zum täglichen Konsum von Alkohol und Zigaretten verhilft. An Gott
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