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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Erzählung Die Panne (und zuvor das Hörspiel: Es geht wie der Film harmloser aus als die Erzählung). Ein Kriminalroman im zünftigen Sinn ist sie nicht nur deshalb nicht, weil die Ermittler vier uralte Herren sind, die an ihren Herrenabenden »Justiz« spielen, ihre alten Berufe: Richter, Verteidiger, Staatsanwalt, Henker. Eine Panne zwingt den Handlungsreisenden Alfredo Traps zur Übernachtung in einem Städtchen des schweizerischen Mittellands, und auch hier baut Dürrenmatt zuerst eine Idylle auf.
    So gerät Traps in die bizarre Runde der Pensionäre, die seinen Fall zu verhandeln beginnen, das, was er nach einem ausschweifenden Mahl am Ende selbst als nicht justiziables, deshalb nicht minder schweres Verbrechen akzeptiert, worauf er gar stolz ist: daß er seinen Chef nicht nur mit dessen Frau betrogen, sondern ihn dadurch gar in den Tod, den Herzinfarkt, getrieben habe. Während die Hörspielfassung Traps nach der langen Nacht wieder auf die Wildbahn seines gewöhnlich fürchterlichen Vertreterlebens entläßt, folgt die Erzählung (und auch das viel später, erst 1979 entstandene Stück) der Dramaturgie der schlimmstmöglichen Wendung: Traps hängt sich selbst ins Fensterkreuz und verteufelt so den Alten »den schönsten Herrenabend«.
    Ich denke, Hans Mayer hat recht: Man kann »Dürrenmatt nicht unsinniger mißverstehen als durch die Annahme, er habe als Moralist am Fall des Generalvertreters … demonstrieren wollen, ein Mensch begehe in seinem Leben oft wirkliche Verbrechen, selbst wenn diese nach dem Buchstaben des Strafgesetzbuches nicht geahndet würden«. Das sei ein Strindberg-Thema gewesen (und, muß man hinzufügen, eines des ganz jungen Dürrenmatt). Hier geht es tatsächlich, nicht anders als im Versprechen, um ein Requiem: nicht nur auf den Kriminalroman, sondern auch »auf das Kunstwerk« (Jan Knopf). Das Leben in der Gewöhnlichkeit und Person von Traps verdirbt das perfekte Kunstwerk der alten Herren, den spielerischen Prozeß mit anschließendem Schuldspruch. Anders herum gedacht: Es erweist sich die Tödlichkeit des perfekten Kunstwerks.
    Die Erzählung ist ein Meisterwerk in adjecto. Das will Dürrenmatts nun tatsächlich letzter sogenannter Kriminalroman nicht sein, Justiz. In den fünfziger Jahren begonnen, wurde er 1987 erst an ein Ende gebracht, das in der Verschachtelung der Perspektiven und Paradoxien, im wilden Weiterspinnen, ja Überwuchern des ursprünglichen Plans auch in diesem Gesamtwerk seinesgleichen sucht (vom Durcheinandertal einmal abgesehen): eine Art bizarre Übermalung einer eigenen Vorlage und so auf andere Weise ein Requiem auf den Kriminalroman. Die Rückführung einer ordentlichen Versuchsanlage ins Chaos, die Auswucherung in groteske Häufungen, in die »Geschmacklosigkeit« auch: die Mißverständnisse, die Durcheinandertal erst voll entfachte, provozierte auch schon Justiz. Das Buch sei hier nicht nacherzählt, weil es nicht zusammenzufassen ist, es sei denn auf dem Raum dieser ganzen Serie. Ursprünglich gedacht als elegante Verkehrung eines Krimi-Musters, geht es von einem Mord aus, der erstens ganz offensichtlich ist und zweitens ganz ohne Motiv – bis Dürrenmatt nach 380 Seiten über abenteuerlichste Hängekonstruktionen und unter Zuhilfenahme der schieren Behauptung doch noch ein solches konstruiert. Ein Mord über drei Banden, billardtechnisch gesprochen. Ungeachtet des schlanken Ausgangsplans (den Dürrenmatt vergessen haben will: Das gehört zum Verwirrspiel), endet das Unternehmen in einem Wahnsinnsstrudel, der wie Readymades fast den gesamten Fundus von Dürrenmatts Figuren, Themen, Motiven mit sich reißt: Hier sprengt Dürrenmatt nicht nur den Kriminalroman, sondern überhaupt die Kunst, in gewissem Sinn auch sein Gesamtwerk, in die Luft. Mich erinnert das an Tinguelys autodestruktive Maschinen; Gartenzwerge gibt’s darin auch fast so viele wie bei Tinguely. Daß einer, dessen Kunst der Interpretation an Thomas Mann geschult ist, einer wie Marcel Reich-Ranicki zum Beispiel, vor solchem ratlos steht, ja tobt, wenn ihm die Brocken um die Ohren fliegen, versteht sich. Daß dies Dürrenmatts teuflische Absicht war, ebenso.

Bärlach, Marlowe und Maigret
von Armin Arnold

    Dürrenmatts Prosawerke haben denselben Weltruhm erlangt wie seine Dramen. Die Kriminalromane stehen als Taschenbücher in den meisten englischen und amerikanischen Buchhandlungen und sind sogar als Schullektüre weit verbreitet. Sie sind zwar typischer Dürrenmatt, aber sie fallen

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