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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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hineininterpretiert – ein vermeintlicher Rückschritt, und schon läßt man ihn fallen. So wird ein Klima erzeugt, in welchem sich nur noch Literatur studieren, aber nicht mehr machen läßt. Wie besteht der Künstler in einer Welt der Bildung, der Alphabeten? Eine Frage, die mich bedrückt, auf die ich noch keine Antwort weiß. Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt.«
    Wie oft, denkt Dürrenmatt auch hier in Schachtelungen, transportiert das Problem in die höhere Potenz. Die Kriminalgeschichte ist ihm als Gattung eine Waffe gegen den guten bürgerlichen Geschmack. So ist es mehr als ein Witz, daß der Erzähler, der in der Rahmengeschichte von Das Versprechen nach Chur zu einem Vortrag ›Über die Kunst, Kriminalromane zu schreiben‹ anreiste, deshalb vor fast leerem Saal liest, weil »gleichzeitig in der Aula des Gymnasiums Emil Staiger über den späten Goethe las«. Tatsächlich muß ja der Verfasser von Kriminalromanen per definitionem der Adressat jener Frage sein, mit welcher Staiger zehn Jahre später den sogenannten »Zürcher Literaturstreit« provozierte: der, in welchen Kreisen er verkehre. In dem 1957 geschriebenen Roman kritisiert Dr. H., der pensionierte Chef der Zürcher Kantonspolizei, im Kriminalroman die Kunst überhaupt:
»In euren Romanen spielt der Zufall keine Rolle, und wenn etwas nach Zufall aussieht, ist es gleich Schicksal und Fügung gewesen; die Wahrheit wird seit jeher von euch Schriftstellern den dramaturgischen Regeln zum Fräße hingeworfen. Schickt diese Regeln endlich zum Teufel. Ein Geschehen kann schon allein deshalb nicht wie eine Rechnung aufgehen, weil wir nie alle notwendigen Faktoren kennen, sondern nur einige wenige, meistens recht nebensächliche.
Auch spielt das Zufällige, Unberechenbare, Inkommensurable eine zu große Rolle. Unsere Gesetze fußen nur auf Wahrscheinlichkeit, auf Statistik, nicht auf Kausalität, treffen nur im Allgemeinen zu, nicht im Besonderen. Der einzelne steht außerhalb der Berechnung. Unsere kriminalistischen Mittel sind unzulänglich, und je mehr wir sie ausbauen, desto unzulänglicher werden sie im Grunde. Doch ihr von der Schriftstellerei kümmert euch nicht darum. Ihr versucht nicht, euch mit einer Realität herumzuschlagen, die sich uns immer wieder entzieht, sondern ihr stellt eine Welt auf, die zu bewältigen ist. Diese Welt mag vollkommen sein, möglich, aber sie ist eine Lüge. Laßt die Vollkommenheit fahren, wollt ihr weiterkommen, zu den Dingen, zu der Wirklichkeit, wie es sich für Männer schickt, sonst bleibt ihr sitzen, mit nutzlosen Stilübungen beschäftigt.«
    Requiem auf den Kriminalroman

    Der Kriminalroman, als Gattung eine Waffe gegen die hermetische Ästhetik, ist selbst ein hermetisches Konstrukt und wird als solches in Das Versprechen ad absurdum geführt. Das Buch heißt im Untertitel »Requiem auf den Kriminalroman«. Das Versprechen ist zuerst als Filmdrehbuch entstanden, die Geschichte ist denn auch unter dem Dürrenmatt verhaßten Titel Es geschah am hellichten Tag von Ladislao Vajda verfilmt worden, einer der Lichtblicke in Dürrenmatts insgesamt eher leidvollen Geschichte mit dem Film (schon die Besetzung mit u. a. Heinz Rühmann, Gert Fröbe, Michel Simon war überdurchschnittlich). Im Schluß freilich unterschied er sich wesentlich vom späteren Roman. Er erzählte die Geschichte vom Lustmörder und dem Kommissar, der ein kleines Mädchen als Lockvogel aussetzt, geradlinig auf den pädagogischen Auftrag des Produzenten Lazar Wechsler hin. Der Täter wird gefaßt, das Mädchen gerade noch gerettet. Was Dürrenmatts Untertitel erst rechtfertigt, ist die andere Wendung: Matthäi, dieser dem eigenen Auftrag verpflichtete Kriminalbeamte (»sein Verstand war überragend, doch durch das allzu solide Gefüge unseres Landes gefühllos geworden« – solches steht bei FD in einem knappen Nebensatz), endet als Säufer an der Tankstelle, auf den Mörder wartend wie auf einen verkehrten Messias (»er wird kommen, er wird kommen«). Durch einen Zufall erfährt Dr. H., daß der von Matthäi geköderte Triebtäter kurz vor der entscheidenden Falle in einem Verkehrsunfall zufällig getötet wurde. So wird in einer unvergleichlichen dürrenmattschen Doppelvolte die Konstruktion des inzwischen über dem Fall verzweifelten Kriminalisten doch noch bestätigt: Der Zufall macht einen Zufall als Verhinderung einer Wahrscheinlichkeit sichtbar.
    »Eine noch mögliche Geschichte.« So heißt auch die zwei Jahre ältere

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