Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
verschwenden sie keinen Gedanken. Sie besitzen aber – wie Hemingways hartgesottene Abenteurer – eine Art von Solidarität für die in der Gesellschaft benachteiligten Menschen. Es sind Skeptiker, die Lug und Trug der heutigen Welt durchschaut haben. Wie Mitglieder von militärischen Selbstmordkommandos begeben sie sich in die größten Gefahren, denen sie auch selten ohne Narben entrinnen. Warum eigentlich ihr fanatischer Kampf gegen Mörder? Er ist bei ihnen eine Art Religionsersatz. Bärlach gleicht ihnen in vielem. Auch bei ihm spielen Frauen, Liebe, Verwandte, Vaterland, Gott keine Rolle. Aber er kämpft bis zuletzt – noch auf dem Sterbebett – unter Lebensgefahr für das, was ihm als Gerechtigkeit erscheint. Auch Bärlachs Freuden sind beschränkt: sie bestehen aus Essen, Trinken und Rauchen.
    Obwohl Der Richter und sein Henker in der besten Tradition des amerikanischen und französischen Kriminalromans steht, hat Elisabeth Brock-Sulzer recht, wenn sie sagt, daß der Roman teilweise eine Parodie sei (z. B. die Aktionen des Dorfpolizisten, nachdem er die Leiche gefunden hat) und daß er Dürrenmatt Gelegenheit geboten habe, autobiographisches Material unterzubringen. Der Richter spielt in der Gegend um Ligerz, wo Dürrenmatt damals wohnte. Interessant, daß er in beiden Romanen Emmentaler auftreten läßt: im Richter die beiden bärenstarken und ruchlos-dummen Diener Gastmanns, im Verdacht die bigotte und strohdumme Krankenschwester Kläri aus Biglen; auch der schuftige Arzt heißt nicht zufällig Emmenberger.
    Dürrenmatt muß sich beim Schreiben seiner Prosawerke großartig amüsiert haben: es ist hier leichter als beim Drama, Nebensächlichkeiten einzuführen und stehenzulassen. Besonders im ersten Teil des Richters gibt es keine humorlose Seite: Dürrenmatt verspottet die Polizei, die Berner, die Juraseparatisten, die Inhaber von staatlichen Ämtern und Titeln, die Militaristen, die Schweizer Künstler u. a. Der Symbolismus ist absichtlich so dick aufgetragen, daß er parodistisch wirkt (›Charon‹ heißt das Unglücksauto, das zuerst Schmied, dann Tschanz zu Tode befördert). Nach Schmieds Tod ißt Bärlach nicht mehr in der ›Schmiedstube‹, sondern im ›Du Théâtre‹. Den Höhepunkt erreicht die Ironie in dem Kapitel, in dem sich Dürrenmatt selbst von Bärlach und Tschanz verhören läßt. Es stellt sich heraus, daß der Inspektor und der Schriftsteller beide von der Kochkunst schwärmen und daß sie beide von Gastmann das gleiche denken. Der Beruf von beiden ist es, »den Menschen auf die Finger zu sehen«. Der Schriftsteller ist der einzige neben Bärlach, der Gastmann durchschaut hat, und zwar indem er – vielleicht nicht zufälligerweise – das tut, was man nach Max Frisch nicht tun soll: »›Ich mache mir ein Bild von ihm‹, sagte der Schriftsteller.«
    Der Verdacht liest sich nicht weniger spannend als Der Richter und sein Henker, es geht hier aber nicht mehr darum, herauszufinden, wer der Mörder ist, sondern darum, ob und wie Bärlach wieder aus der Falle kommt, in die er hineingeraten ist. Bärlach hat eine Operation überstanden, und man nimmt an, daß er noch ein Jahr leben wird. Er liegt im Salemspital in Bern (in dem Dürrenmatts Vater Seelsorger war) und liest symbolischerweise in der Zeitschrift ›Life‹. Ein Bild erweckt den Verdacht seines Arztes – daß nämlich der berüchtigte Arzt Nehle, der im Konzentrationslager Stutthof ohne Narkose operierte, mit Dr. Emmenberger, dem Vorsteher einer Zürcher Privatklinik, identisch sei. Bärlach hätte allen Grund, anderen die Prüfung dieses Falles zu überlassen: erstens ist er jetzt pensioniert, und zweitens hätte er wohl ein Recht darauf, sein letztes Lebensjahr in Ruhe zu genießen. Es ist keine moralische Verpflichtung, die ihn treibt, sondern ein unbändiger Trotz, »in dieser Welt zu bestehen und für eine andere, bessere zu kämpfen, zu kämpfen auch mit diesem seinem jammervollen Leib, an welchem der Krebs fraß …«
    Was der Inspektor unternimmt, ist wilder Irrsinn, aber in der besten Tradition der ›tough private eyes‹, die mit geballten Fäusten und ohne viel zu denken in die Höhle des Löwen gehen, sich aber am Ende doch wieder – wenn auch übel zugerichtet – aus der Affäre ziehen. Bärlach läßt sich inkognito in Emmenbergers Klinik transportieren. Mitwisser sind nur der Journalist Fortschig und der Arzt Hungertobel. Sollte Emmenberger seinem falschen Patienten auf die Spur kommen, hätte er nur drei

Weitere Kostenlose Bücher