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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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rechten Seite am Gürtel befestigt, bemerkte Ray einen kleinen weißen Kunststoffbehälter. Vorsichtig trat er einen Schritt näher, um besser sehen zu können - es war eine Dose mit Morphium.

    Ray schloss die Augen, öffnete sie wieder und blickte sich in dem Raum um. Der Sekretär mit dem Rollverschluss unter dem Porträt von General Forrest stand da wie eh und je. Auch die altmodische Underwood-Schreibmaschine war an ihrem Platz; daneben lag ein Stapel Papiere.
    Ein Stück entfernt befand sich der große Mahagonischreibtisch, eine Hin-terlassenschaft jenes Atlee, der einst mit General Forrest in den Krieg gezogen war.
    Während Ray unter dem strengen Blick von General Nathan Bedford Forrest in diesem Raum verharrte, in dem die Zeit still zu stehen schien, bemerkte er schließlich, dass sein Vater nicht atmete. Nur langsam trat diese Tatsache wirklich in sein Bewusstsein. Er hustete, und auch das löste keinerlei Reaktion aus. Dann beugte er sich über den Richter und berührte dessen linkes Handgelenk. Es war kein Puls zu fühlen.
    Richter Reuben V. Atlee war tot.

6
    In dem Arbeitszimmer stand ein alter Korbstuhl mit einem zerschlisse-nen Kissen, über dessen Lehne eine zerfetzte Decke hing. Außer der Katze hatte ihn nie jemand benutzt. Ray nahm darauf Platz, weil es die nächste Sitzgelegenheit war. Dann saß er lange da, sah hinüber zum Sofa und wartete darauf, dass sein Vater wieder zu atmen beginnen, aufwachen, sich aufsetzen, das Gespräch eröffnen und »Wo ist Forrest?« fragen würde.
    Aber der Richter blieb völlig reglos. Auf ganz Maple Run war nur der stoßweise gehende Atem Rays zu hören, der seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen versuchte. Ansonsten herrschte im Haus Totenstille, die unbewegte Luft lastete schwer. Ray starrte auf die friedlich über dem Bauch gefalteten Hände seines Vaters, als warte er darauf, dass dieser sie langsam anheben und dann auf und ab bewegen würde, bis das Blut wieder zu zirkulieren und die Lungen sich mit Luft zu füllen begannen. Aber nichts dergleichen geschah. Sein Vater lag stocksteif da, Hände und Füße aneinander, das Kinn auf der Brust. Es schien, als hätte er gewusst, dass sein letztes Nickerchen ewig dauern würde. Seine Lippen waren geschlossen, schienen aber vom Anflug eines Lächelns umspielt. Das Morphium hatte den Schmerzen ein Ende bereitet.
    Als der Schock nachzulassen begann, drängten sich Ray Fragen auf.
    Wie lange war der Richter schon tot? Hatte der Krebs ihn schließlich eingeholt, oder hatte der alte Mann einfach die Morphiumdosis erhöht?
    Machte das einen Unterschied? War dies eine Inszenierung für seine Söhne? Und wo zum Teufel blieb Forrest? Nicht dass er irgendwie hilfreich gewesen wäre.
    Zum letzten Mal allein mit seinem Vater, kämpfte Ray gegen die Tränen an und wurde bedrängt von den üblichen quälenden Fragen, warum er nicht früher gekommen war und nicht häufiger, warum er nicht geschrieben oder angerufen hatte. Hätte er es zugelassen, wäre die Liste dieser Fragen endlos gewesen.
    Stattdessen löste er sich endlich aus der Erstarrung. Nachdem er sich leise neben dem Sofa niedergekniet hatte, legte er seinen Kopf auf die Brust des Richters und flüsterte: »Ich liebe dich, Vater«. Dann sprach er ein kurzes Gebet. Als er wieder aufstand, hatte er Tränen in den Augen, und das passte ihm überhaupt nicht. jeden Augenblick konnte sein Jüngerer Bruder auftauchen, und Ray war entschlossen, möglichst emoti-onslos mit der Situation umzugehen.
    Auf dem Mahagonischreibtisch fand er den Aschenbecher, in dem zwei Pfeifen lagen. Der Kopf der einen war mit kürzlich angerauchtem Tabak gefüllt und noch ein bisschen warm. Zumindest schien es Ray so, doch sicher war er sich nicht. Er sah seinen Vater vor sich, wie er rauchend vor dem Schreibtisch saß und Papiere ordnete, weil seine Söhne das Arbeitszimmer nicht allzu unaufgeräumt sehen sollten. Dann schlug wohl der Schmerz zu, und er hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt, sich mit dem Morphium etwas Linderung verschafft und war eingenickt.
    Neben der Underwood lag ein Bogen Briefpapier des Richters, auf den er »Letzter Wille und Testament von Reuben V, Atlee« getippt hatte. Darunter stand das gestrige Datum: 6. Mai 2000. Mit dem Kuvert in der Hand verließ Ray den Raum. Im Kühlschrank fand er eine weitere Dose Limonade. Er ging auf die Veranda, wo er sich auf die Hollywoodschaukel setzte und auf Forrest wartete.
    Sollte er das Bestattungsinstitut anrufen und die Leiche

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