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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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mehr als die Summe, die der Richter in zweiunddreißig Jahren auf dem Richterstuhl verdient hatte. Als Chancellor hatte er einen Fulltimejob gehabt und nichts nebenher verdient; auf die Seite gelegt hatte er nichts. Viel hatte sich daran vermutlich auch nach seiner Wahlniederlage vor neun Jahren nicht geändert.
    Soweit Ray wusste, hatte sein Vater nie ein Faible für das Glücksspiel gehabt und niemals auch nur eine einzige Aktie gekauft.
    Auf der Straße näherte sich ein Wagen. Ray erstarrte, weil er befürchtete, es könnte Forrest sein, doch das Auto fuhr weiter. Er sprang auf und rannte in das Arbeitszimmer zurück, wo er ein Ende des Sofas an-hob und es gut zehn Zentimeter weiter von den Regalen abrückte. Dann wiederholte er auf der anderen Seite dieselbe Prozedur. Er ließ sich auf die Knie fallen und zog mehrere Blake & Son-Kartons aus dem Kabinettschrank. Als er fünf aufeinander gestapelt hatte, schleppte er sie durch die Küche zu einem kleinen Raum hinter der Speisekammer, wo das Hausmädchen Irene immer Besen und Mops aufbewahrt hatte. Die Putzgeräte befanden sich dort noch immer, offensichtlich hatte sie seit Irenes Tod niemand mehr angerührt. Nachdem er ein paar Spinnweben zur Seite gefegt hatte, stellte Ray die Kartons auf den Boden.
    Die Besenkammer hatte kein Fenster und war von der Küche aus nicht zu sehen.
    Vom Esszimmer aus beobachtete er die Auffahrt, aber da er nichts sah, rannte er in das Arbeitszimmer, wo er weitere sieben Blake & Son-Kartons aufeinander türmte und sie dann zur Besenkammer trug.
    Zurück zum Fenster des Esszimmers, wo von Forrest immer noch nichts zu sehen war, dann wieder ins Arbeitszimmer, wo die Leiche des Richters von Minute zu Minute kälter wurde. Nach zwei weiteren Gängen zur Besenkammer war der Job erledigt. Insgesamt siebenundzwanzig Pappkartons, sicher verstaut an einem Ort, wo niemand sie finden wür-de.

    Als Ray zu seinem Wagen ging, um seine Reisetasche zu holen, war es fast achtzehn Uhr. Er musste ein frisches Hemd und eine saubere Hose anziehen. Das ganze Haus war staubig und schmutzig. Wo immer man einen Gegenstand berührte, hatte man sofort einen Fleck. Im Erdgeschoss gab es nur ein Badezimmer, wo er sich wusch und mit einem Handtuch abtrocknete. Dann machte er im Arbeitszimmer Ordnung, schob das Sofa wieder an seinen Platz und ging durch die vorderen Räume, um nach weiteren Kabinettschränken Ausschau zu halten.
    Als er im ersten Stock gerade die Schränke im Schlafzimmer seines Vaters, wo die Fenster offen standen, durchsuchte, hörte er von der Straße her erneut einen Wagen. Er rannte die Treppe hinab und konnte sich gerade noch auf die Hollywoodschaukel auf der Veranda werfen, als Forrest auch schon hinter seinem Audi parkte. Ray atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen.
    Der Schock, den ihm der plötzliche Tod seines Vaters versetzt hatte, war schon fast zu groß, um ihn an nur einem Tag zu verkraften, aber nach dem überraschenden Fund des Vermögens zitterte er am ganzen Körper.
    Forrest kam die Stufen so langsam wie möglich heraufgeschlendert, die Hände tief in den Taschen seiner Anstreicherhose vergraben. Glänzende schwarze Kampfstiefel mit grellen grünen Schnürsenkeln. Immer etwas anders als die anderen, der gute Forrest.
    »Forrest«, sagte Ray leise, während sein Bruder auf ihn zukam.
    »Tag, Bruderherz.«
    » Er ist tot. «
    Forrest blieb stehen und betrachtete seinen Bruder einen Augenblick lang. Dann schaute er zur Straße hinüber. Er trug einen alten braunen Blazer über einem roten T-Shirt - eine Kombination, die sich außer Forrest niemand zu tragen getraut hätte. Und außer bei Forrest hätte man dieses Outfit auch bei niemandem durchgehen lassen. Aber als Clantons selbst ernannter Freigeist hatte er sich immer große Mühe gegeben, cool, extravagant, avantgardistisch und hip aufzutreten.
    Zwar hatte er inzwischen ein paar Pfunde zugelegt, aber das fiel nicht weiter auf. Sein langes, sandfarbenes Haar wurde sehr viel früher grau als das Rays. Er trug eine ramponierte Baseballkappe mit dem Emblem der Cubs.
    »Wo ist er?«
    »Im Haus.«

    Forrest zog die Fliegengittertür auf, und Ray folgte ihm in die Diele.
    Im Türrahmen des Arbeitszimmers blieb Forrest stehen, augenscheinlich unschlüssig, was er jetzt tun sollte. Während er seinen Vater anstarrte, sackte sein Kopf seitlich etwas herab, und einen Augenblick lang glaubte Ray, dass er vielleicht zusammenbrechen würde. So hart er sich auch immer zu geben

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