Der Richter
genehmigt, und fast nie versuchte man, etwas durchzusetzen, wogegen er opponierte. Es gab praktisch keinen Ausschuss, keinen Rat, keinen Verband und kein spontan gegründetes Komitee, bei dem er nicht zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens die Hand im Spiel gehabt hatte. Stillschweigend suchte er Kandidaten für lokale Ämter aus und trug im Hintergrund zur Niederlage derjenigen Aspiranten bei, die nicht seinen Segen hatten.
In seiner knapp bemessenen Freizeit studierte er, wenn er nicht gerade juristische Artikel schrieb, historische Werke und die Bibel. Nie hatte er mit seinen Söhnen Baseball gespielt, nie war er mit ihnen zum Angeln gegangen.
Seine Frau Margaret starb 1969 urplötzlich an einem Aneurysma. Seine Söhne blieben nun allein zurück.
Irgendwann während dieses Lebenswegs hatte es der Richter geschafft, ein immenses Barvermögen abzuzweigen.
Vielleicht war des Rätsels Lösung irgendwo zwischen den Papierstößen auf seinem Schreibtisch oder in den Schubladen zu finden. Wenn der Richter schon keine umfassende Erklärung hinterlassen hatte, gab es doch mit Sicherheit irgendeinen Anhaltspunkt oder eine Spur. Ray kannte niemanden in Ford County, der überhaupt zwei Millionen Dollar besaß, aber es war schlechthin unvorstellbar, dass jemand eine solche Summe in bar aufbe-wahrte.
Er musste das Geld zählen. Während des Abends hatte er bereits zweimal danach gesehen, doch schon das Zählen der siebenundzwanzig Blake
& Son-Kartons hatte ihm Angst gemacht. Der geeignete Zeitpunkt war der frühe Morgen - dann war es hell, aber die Stadt war noch nicht auf den Beinen. Er würde die Küchenfenster verhängen und sich einen Karton nach dem anderen vornehmen.
Kurz vor Mitternacht fand Ray in einem im Erdgeschoss gelegenen Schlafzimmer eine kleine Matratze, die er ins Esszimmer schleifte und an einer Stelle deponierte, die fünf Meter von der Besenkammer entfernt war und von wo aus er zugleich die Auffahrt und das Nachbarhaus im Auge behalten konnte. Oben, in der Schublade des Nachttischs seines Vaters, hatte er dessen 38er Smith & Wesson entdeckt. Das Kopfkissen und die Wolldecke rochen modrig, und er fand keinen Schlaf.
Von der Rückseite des Hauses ertönte ein klapperndes Geräusch. Es dauerte ein paar lange Augenblicke, bis Ray aufgewacht war, wieder einen klaren Kopf und begriffen hatte, was er da hörte - vermutlich ein Fenster. Zuerst eine Art pickendes Geräusch, dann ein etwas heftigeres Rütteln, schließlich Stille. Er richtete sich auf der Matratze auf und griff nach dem Achtunddreißiger. Weil fast alle Glühbirnen defekt und der Richter zu geizig gewesen war, sie auszutauschen, war das Haus sehr viel dunkler, als es Ray lieb war.
Zu geizig. Und das, obwohl er siebenundzwanzig Kartons mit Bargeld im Haus gehabt hatte.
Am nächsten Morgen, nahm Ray sich vor, würde er als Erstes Glühbirnen auf seine Einkaufsliste setzen.
Wieder ertönte das Rütteln, aber es war zu energisch und erfolgte zu rasch, als dass es von den Zweigen der Bäume stammen konnte, die gegen ein Fenster schlugen. Tak, tak, tak, dann ein harter Stoß, als würde jemand versuchen, das Fenster aufzubrechen.
In der Auffahrt standen Rays und Forrests Autos. jeder Narr musste wissen, dass jemand im Haus war. Wer immer dieser Narr auch sein mochte, es schien ihm egal zu sein. Wahrscheinlich war er bewaffnet, und mit Sicherheit wusste er besser mit einer Pistole umzugehen als Ray.
Wie ein Krebs kroch er auf dem Bauch durch die Diele, doch sein Atem ging stoßweise wie der eines Hundertmeterläufers. In dem dunklen Flur hielt er an, um in die Stille zu lauschen. Eine liebliche Stille. Hau doch einfach wieder ab, dachte er, hau einfach ab.
Erneut erklang das Geräusch. Ray robbte mit gezückter Waffe auf das nach hinten gelegene Schlafzimmer zu. Viel zu spät fragte er sich, ob der Revolver überhaupt geladen war. Natürlich, immerhin hatte der Richter ihn zu seiner Sicherheit im Nachttisch aufbewahrt. Das Geräusch wurde lauter. Es kam aus dem kleinen Raum, den sie früher als Gästeschlafzimmer benutzt hatten, der aber schon seit Jahrzehnten als Abstellkammer für Kartons mit wertlosem Trödel diente. Langsam schob Ray die Tür mit dem Kopf auf. Er sah nichts als Pappkartons. Die Tür schlug gegen eine Stehlampe, die vor dem ersten der drei dunklen Fenster auf den Boden knallte.
Fast hätte Ray gefeuert, aber er konnte sich gerade noch beherrschen und hielt den Atem an. Unbeweglich lag er auf dem unebenen Holzbo-den, bis
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