Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Was ihn vergangene Nacht wirklich in Angst und Schrecken versetzt hatte, war der Gedanke, es zu verlieren. Und jetzt hatte er Angst, es hier zurückzulassen.
    In den letzten drei Wochen hatte er sich zunehmend dafür interessiert, was wie viel kostete, was er mit dem Geld alles kaufen und wie er es vermehren konnte, je nachdem, ob er es konservativ oder risikofreudig investierte.
    Manchmal hielt er sich für reich, dann wieder wies er solche Gedanken weit von sich. Aber sie waren ständig in seinem Kopf, in seinem Unterbe-wusstsein, und drängten sich immer öfter in den Vordergrund. Allmählich bekam er Antworten auf seine Fragen: Nein, es war kein Falschgeld, nein, es konnte nicht zurückverfolgt werden, nein, der Richter hatte es nicht im Kasino gewonnen, nein, es war kein Schmiergeld von Anwälten oder Prozessparteien.
    Und nein, das Geld sollte nicht mit Forrest geteilt werden, weil sein Bruder sich damit umbringen würde. Nein, es sollte aus mehreren wichtigen Gründen nicht in den Nachlass aufgenommen werden.
    Eine Möglichkeit nach der anderen schloss Ray aus. Er würde vielleicht gezwungen sein, das Geld zu behalten.
    Als jemand an die Metalltür klopfte, hätte er fast losgeschrien. Er sprang auf und rief: »Wer ist da?«
    »Der Sicherheitsdienst«, lautete die Antwort. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er stieg über das Geld und machte die Tür einen Spaltbreit auf.
    Mr. Murray grinste ihn an.

    »Alles in Ordnung bei Ihnen? « Murray sah eher aus wie ein Hausmeister als wie ein Sicherheitsbeamter.
    »Alles in Ordnung, danke«, antwortete Ray, dem fast das Herz stehen geblieben wäre.
    »Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie Hilfe brauchen.«
    »Ich möchte mich wegen letzter Nacht bei Ihnen bedanken.«
    »Hab’ nur meine Arbeit gemacht.«
    Nachdem Murray gegangen war, verstaute Ray das Geld wieder im Kofferraum des Audis. Während er dann durch die Stadt zu seiner Wohnung fuhr, behielt er den Rückspiegel im Auge.
    Sein Vermieter schickte mehrere mexikanische Zimmerleute vorbei, um die beschädigten Türen zu reparieren. Sie hämmerten und sägten den ganzen Nachmittag lang und freuten sich über ein kaltes Bier, als sie mit der Arbeit fertig waren. Ray unterhielt sich ein wenig mit ihnen, während er versuchte, sie aus seiner Wohnung hinauszubekommen. Auf dem Küchentisch lag ein Stapel Post. Er hatte ihn fast den ganzen Tag über ignoriert, jetzt aber setzte er sich an den Tisch und sah sich die Briefe an. Rechnungen, die zu zahlen waren. Kataloge und Werbung. Drei Beileidskarten.
    Ein Brief von der Steuerbehörde, adressiert an Mr. Ray Atlee, Nachlassverwalter von Reuben V. Atlee, vor zwei Tagen abgestempelt in Atlanta.
    Ray sah ihn sich aufmerksam an, bevor er ihn langsam öffnete. Ein Schreiben auf offiziellem Briefpapier, von einem gewissen Martin Gage, Steuerfahndung, Außenstelle Atlanta. In dem Brief stand Folgendes: Sehr geehrter Mr. Atlee, als Verwalter des Nachlasses Ihres Vaters sind Sie gesetzlich verpflichtet, sämtliche Vermögenswerte zur Bewertung und steuerlichen Veranlagung anzugeben. Die Verschleierung von Vermögen kann als Steuerhinterziehung betrachtet werden. Eine nicht auto-risierte Auszahlung von Vermögenswerten verstößt gegen das geltende Recht von Mississippi und unter Umständen auch gegen Bundesrecht.

    Martin Gage,
    Steuerfahndung

    Rays erster Impuls war, Harry Rex anzurufen und ihn zu fragen, was er der Steuerbehörde mitgeteilt hatte. Als Nachlassverwalter hatte Ray ab dem Zeitpunkt des Todes ein Jahr lang Zeit, um die endgültige Vermögensaufstellung einzureichen, und dem Buchhalter zufolge waren Fristverlänge-rungen problemlos möglich.

    Der Brief war einen Tag, nachdem er und Harry Rex vor Gericht den Nachlass eröffnet hatten, abgeschickt worden. Warum hatte die Steuerbehörde so schnell reagiert? Und woher wusste sie eigentlich vom Tod Reuben Atlees?
    Statt Harry Rex anzurufen, wählte er die Büronummer, die auf dem Briefkopf angegeben war. Er wurde von einer Tonbandansage in der Welt der Steuerbehörde, Außenstelle Atlanta, begrüßt. Man teilte ihm bedauernd mit, dass er zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal anrufen müsse, da heute Samstag sei. Ray schaltete den Computer ein, ging online und fand im Telefonverzeichnis von Atlanta drei Martin Gages. Der erste, den er anrief, war gerade verreist, aber seine Frau sagte, er arbeite nicht für die Steuerbehörde, Gott sei Dank. Unter der zweiten Nummer meldete sich niemand. Beim dritten Versuch bekam Ray einen

Weitere Kostenlose Bücher