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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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würden. Max kreuzte mit morgenschweren Schritten den Ring 2, was normalerweise ein ziemlich riskantes Manöver gewesen wäre. Um kurz vor Sechs an einem Samstag hatte er jedoch alle vier Spuren für sich allein. Gegen die Morgenkälte gewappnet mit dickem Parka und einer Strickmütze, trug er lässig geschultert eine Sporttasche, aus der die langen Schäfte olivgrüner Anglerstiefel ragten.
    Max schritt durch einen Torweg und weiter übers Kopfsteinpflaster eines ausgedehnten Hinterhofes. Zwischen grauen Rückfronten unsanierter Altbauten gab es hier eine verfallene Lagerhalle, ein paar Garagen mit rostigen Metalltoren und eine niedrige Baracke mit Flügeltüren. Die Türen waren geschlossen, doch aus den kleinen Fenstern daneben drang Licht hinaus in den schummrigen Morgen. Hamid war also schon bei der Arbeit, oder er war es noch. Eigentlich konnte man ihn fast zu jeder Tages- und Nachtzeit hier antreffen, und darauf hatte Max spekuliert. Sein Klopfsignal an der Flügeltür schändete die friedliche Ruhe auf dem Hinterhof. Eine Weile tat sich nichts, dann öffnete sich ein Türflügel ein Stück weit – Hamids kahler Schädel schob sich durch den Spalt, sein misstrauisches Blinzeln verwandelte sich angesichts des Besuchers in Erstaunen.
    »Max Harder. Sechs Uhr früh am Wochenende. Ganz was Neues.«
    »Du schlägst ja wohl auch gerade eigene Rekorde«, grinste Max.
    Hamid winkte Max herein und drückte die Tür hinter ihm sorgfältig wieder zu. Die Werkstatt bot Platz für drei bis vier Fahrzeuge, momentan befanden sich allerdings nur zwei Autos hier: Ein schrottiger Renault, aufgebockt und seiner Räder entledigt – und in der hintersten Ecke die schnittige Silhouette eines Flitzers, dessen Linien unter einer Deckplane nur zu erahnen waren. Unter einer Ecke der offenbar hastig übergeworfenen Plane schimmerten die Speichen einer vergoldeten Sportfelge. Max pfiff bewundernd leise durch die Zähne.
    »Wem gehört das Schmuckstück?«
    Hamids schwarze Augen fixierten ihn streng und unbewegt. »Das willst du nicht wissen, Harder.«
    Max wollte mit einen lockeren Spruch kontern, aber dann registrierte er die ungewohnte Anspannung in Hamids Haltung und sagte lieber nichts. Normalerweise kam man gut mit Hamid aus. Seit sie die Rikscha besaßen, fungierte er sozusagen als ihr Chefmechaniker. Wann immer sie einen Rat brauchten, wie eine Schweißnaht verstärkt oder die Schaltung optimiert werden könnte, half er ihnen. Natürlich hatte Oleg die kleine Hinterhofwerkstatt entdeckt, und auf seine Art war Hamid ein ebensolcher Tausendsassa wie Max’ Kompagnon. Hamid reparierte alles, vom defekten Toaster bis zum Aufsitzmäher. Und bei kaputten Autos reichte die Spannweite seines Talents ganz offensichtlich von maroden Schrottlauben bis zu Nobelkarossen. Sein Alter schätzte Max auf irgendwo zwischen 40 und 50. Woher Hamid ursprünglich stammte, wusste Max nicht. Arabischer Herkunft jedenfalls, aber mal erzählte er was von Palästina, dann gab er sich wieder als Libanese aus, von Ägypten und Syrien war auch schon die Rede gewesen. Nach der stets aufgeräumten Werkstatt, den penibel verstauten und an Wandhalterungen aufgereihten Werkzeugen zu urteilen war Hamid allerdings der geborene Preuße. Tatsächlich war sein Deutsch akzentfrei, in seinem winzigen, von der Werkstatt abgeteilten Büro stapelte sich schöngeistige Literatur und aus dem abgeschabten Transistorradio im Wandregal dudelte Tag und Nacht klassische Musik – auch jetzt.
    »Du bist doch deshalb hier!« Hamid drängte Max hinüber in eine andere Ecke seiner Werkstatt. Dort stand das Gelbe Ungetüm, frisch poliert und von allen Spuren des gestrigen Chaosritts gereinigt. Hamid entfaltete den Baldachin über der Fahrgastbank und wies auf die Rückseite, die eine lange Folge aufgeklebter Folienzahlen zierte – ihre »Dienstnummer«, wie Max und Oleg sie nannten. Die Nummer gehörte zu ihrem »Diensthandy« – ein billiges Prepaid-Teil, welches stets derjenige von ihnen mitführte, der gerade auf der Rikscha durch die Gegend gondelte. Wenn sie Werbezettel verteilten oder Quittungen ausstellten, befand sich immer diese Nummer darauf. »Ich hab’ sogar wieder eure Telefonnummer in Ordnung gebracht – eine Null war abgeblättert.«
    Max wuchtete seine Sporttasche auf die Rückbank der Rikscha, strich mit der Hand über die ausgebesserten Stellen am Rahmen und verströmte gebührende Bewunderung. »Große Klasse, Hamid!«
    Der Mechaniker schnippte lässig gegen die

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