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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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aus der Tasche ragenden Gummistiefelschäfte. »Seit wann gehst du angeln?«
    »Ich geh’ nicht angeln. Wir treffen uns mit ein paar Leuten und einem Prof von der Uni. Praktische Übung in archäologischer Feldforschung!«
    »Im Wasser?«
    »Fast. Im Nikolaifleet. Da wird gleich Wasser abgelassen, dann geht’s. Aber nur mit Wathose und Anglerstiefeln. Und sogar dann steht man manchmal noch bis zum Arsch im Modder!«
    »Tja«, grinste Hamid, »so gesehen, scheint man euch auf der Uni doch angemessen auf den Ernst des Lebens vorzubereiten.« Er überprüfte kurz den Zugriff der neuen Bremsbelege. »Hast du nicht gestern gesagt, Oleg holt die Karre ab?«
    »Hab’ ihm einen Zettel hingelegt. Er kann die Rikscha nachher bei mir am Fleet abholen. Er stellt sich sowieso damit meist auf den Rathausmarkt oder vor den Hauptbahnhof – bis dahin hat er es dann ja nicht mehr weit.«
    Hamid kniff zwinkernd ein Auge zu. »Und bis er kommt, kannst du zwischendurch vielleicht noch die ein oder andere lukrative Fuhre machen?«
    Max schüttelte den Kopf. »Kein Interesse.«
    »Keine gute Einstellung für einen Jungunternehmer.«
    »Drauf gepfiffen. Das mit der Rikscha lasse ich sowieso sausen!«
    Hamids schwarze Augen musterten ihn, ohne eine Gemütsbewegung zu verraten. Undurchschaubar, dachte Max unwillkürlich. Aber unter der unverbindlich glatten Oberfläche war Hamid vielschichtiger als eine Zwiebel – das spürte Max deutlich.
    »Warum?«
    »Ist für mich der falsche Beruf«, wich Max aus.
    Hamids forschender Blick nagelte ihn unbeirrt fest. »Vielleicht hast du nur den falschen Partner.«
    Max zuckte nur mit den Schultern. Er wollte Oleg weder in Schutz nehmen, noch hatte er Lust auf eine Diskussion darüber. Er packte die Rikscha beim Lenker und schob sie zum Ausgang.
    »Was kriegst du für die Reparatur?«
    »Noch einen Fuffi. Hat Zeit.«
    Hamid öffnete beide Flügel der Werkstatttür, Max schob das Gefährt hinaus und setzte sich in den Sattel.
    »Danke, Hamid.« Max hob grüßend die Hand. »Mal sehen, was als Nächstes kaputtgeht…«
    Hamid grinste tröstend. »Tand, Tand – ist das Gebilde von Menschenhand!«
    »Fontane? Vorm Frühstück?«
    »Deutsche Leitkultur«, griente der Mechaniker. »Absolut zeitlos.«
    Klick – Splash. Leertakt. Klick – Splash. Leertakt.
    Auf dem »Klick« klang ein A mit, eindeutig. Kammerton A. Kaum war das »Klick-A« durch, zerplatzte alles im »Splash«. Die im Leertakt aufgebaute Spannung kulminierte unweigerlich im nächsten »Klick«, löste sich im »Splash«.
    Leertakt.
    Geiler Groove. Geht voll in die Birne. Wenn die bloß nicht so wehtun würde… Pieter Westheim wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Die leidvolle Erfahrung zahlreicher Alkoholabstürze hatte in ihm verinnerlicht, was nun zwangsläufig ablief: Sein Bewusstsein stieg allmählich aus der Gruft des Vergessens, tappte morgenblind durchs Labyrinth der Gehirnganglien und rieb sich überall an dumpfem Schmerz. Irgendwann müsste er die Augen öffnen, und dann würde Tageslicht die dumpfen Schmerzen jäh entfachen wie das brennende Zündholz einen benzingetränkten Lappen.
    Scheiß Diabolo.
    Klick – Splash.
    Diabolo. Das Teufelchen. Nastja und das Kostüm. Der Fummel wurde nur von diesem albernen Bändchen gehalten, hatte er sich ja gleich gedacht. Nicht grinsen jetzt! Bewegung ist nix gut in diesem Zustand, selbst wenn nur die Mundwinkel zucken. Keine Ahnung, was danach abgelaufen ist. Bestimmt das volle Programm. Hoffte er wenigstens. Wirklich erinnern konnte er sich daran nicht.
    Leertakt.
    Hoffentlich ist sie nicht mehr da. Jetzt so ein jugendfrisches Ding und daneben er – gefühlter Altersabstand 100 Jahre, und alles unter gnadenloser Morgensonne. Aber mach dir keine Hoffnung. Bestimmt ist sie noch da. Schwallt gleich los im Endlos-Loop, will mit ihm sofort durch die City bummeln, mit Pete West zusammen gesehen werden, mit seiner Platin-Card shoppen gehen. So lief das immer. Aber jetzt noch nicht. Nicht, solange er noch die Augen fest geschlossen hielt.
    Klick – Splash. Kammerton A, oder doch ein Halbton höher?
    Vielleicht ließ es sich vorsichtig ertasten, ob sie neben ihm lag. Pieter schob langsam seine Rechte seitwärts, kam aber nicht weit – eine feste Barriere verhinderte die Forschungsexpedition. Geflecht. Korbgeflecht. Auf der linken Seite das Gleiche. Rattan-Liege. In der ganzen Scheißwohnung gibt es keine Rattan-Liege, erkannte Pieter in erstaunlich kühler Klarheit. Ich habe nur eine

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