Der Ring an meiner Hand
zu verlangen, war ein Fehler gewesen. Was um alles in der Welt hatte sie sich dabei gedacht, ihn auf diese Weise herauszufordern und dann auch noch zu denken, sie käme ungeschoren davon?
Ich war schlicht und ergreifend wütend. Und vielleicht wollte ich ihn auch wütend machen.
Aber warum? Auf diese Frage fand sie keine Antwort.
Setzten ihr die Geschichten in den Klatschzeitungen letztlich doch zu? War dies eine Art persönlicher Rachefeldzug, weil die Schreiberlinge sie wie Luft behandelten? Wollte sie Rafaele daran erinnern, dass sie noch existierte?
Warum sollte sie das überhaupt kümmern? Sie liebte doch Simon!
Nichts davon ergab einen Sinn.
Wie viel wusste sie von Conte Rafaele Di Salis, außer dass ihr Vater ihm vertraut hatte, obwohl der junge Mann auf mysteriöse Weise in seiner Schuld stand?
Von ihrem Vater wusste Emily auch, dass Rafaeles Eltern tot waren. Er sprach nicht gern über seine Familie. Sie solle ihm keine Fragen stellen und warten, bis er das Thema von sich aus anschneide, so hatte er ihre Frage nach seiner Familiengeschichte am Anfang der Ehe beantwortet.
Nur, dass er das nicht tat.
Allerdings hatten sie bislang auch kaum Zeit miteinander verbracht. Sich zu unterhalten, setzte ein gegenseitiges Interesse und Vertrauen voraus. Aber ihn an sich heranzulassen, hatte Emily stets als Gefahr empfunden. Zu ihrer eigenen Sicherheit musste sie Distanz wahren.
Einen Moment umwölkten sich ihre Augen, und sie kniff sie hastig zusammen. Schwäche konnte sie sich jetzt nicht leisten.
Ich werde es durchstehen, beschloss sie. Und wenn es vorbei ist, werde ich gehen, ohne einen Blick zurück.
Als sie den Tisch deckte, war das Wohnzimmer leer. Mit einigen Kerzen in den Händen kam Rafaele etwas später aus der Kellertür.
„Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“, fragte sie, als er zwei davon auf den Tisch stellte.
„Hast du nicht gesehen, wie die Lichter flackern?“ In seiner Stimme hörte sie Ungeduld heraus. „Ich fürchte, uns droht ein Stromausfall. Und ich dachte, es sei sicherer, sich bereits jetzt um alle Eventualitäten zu kümmern. Magst du kein Kerzenlicht?“
Sie zuckte die Schultern. „Solange es keine Notwendigkeit ist.“
Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Romantik ist dir lieber als Pragmatik, cara ? Das finde ich schön. Ich fühle mich ermutigt.“
„Wenn ich wirklich die Wahl hätte, wäre es mir am liebsten, du würdest im Dunkeln die Kellertreppe hinunterfallen und dir den Hals brechen.“ Sein lautes Lachen verfolgte sie bis in die Küche.
Das Essen schmeckte besser, als sie erwartet hatte. Was dem Hühnchen an Geschmack fehlte, machte es durch Zartheit wett. Und das Gemüse war perfekt gegart. Zu ihrer größten Überraschung verspürte Emily sogar richtig großen Hunger.
„Für morgen ist nicht mehr viel übrig“, sagte sie und betrachtete die kärglichen Reste auf dem Tisch.
„Aus den Knochen kochen wir Suppe“, sagte Rafaele schulterzuckend. „Mach dir keine Sorgen und trink noch ein bisschen Wein.“ Er schenkte ihr nach. „Ich werde schon nicht zulassen, dass du verhungerst.“
Eine Weile schwiegen sie. Dann sagte Emily: „Beantwortest du mir eine Frage?“
„Vielleicht. Frag, dann werden wir sehen.“
„Dad hat mir erzählt, du hättest angeboten, mich zu heiraten, weil du ihm etwas schuldetest. Ich bin nur neugierig, wie hoch mein … Marktwert ist.“
Lange sagte er nichts. „Die Schuld ist unermesslich“, erklärte er dann ausdruckslos. „Aber es war die einzige Wiedergutmachung, um die er mich je gebeten hat, also konnte ich nicht ablehnen. Bist du damit zufrieden?“
„Wie könnte ich? Für uns beide wäre doch alles viel einfacher gewesen, wenn du das Geld irgendwie hättest auftreiben können.“
„Rückblickend beurteilt man manches anders.“ Er stand auf. „Ich koche Kaffee.“
Nach dem Aufräumen schien noch unendlich viel Zeit bis zum Schlafengehen zu verbleiben, doch Emily kam es vor, als flögen die Minuten nur so dahin. Immer wieder blätterte sie eine Seite in ihrem Buch um, ohne auch nur die geringste Ahnung von der Handlung zu haben.
Dabei wanderte ihr Blick regelmäßig zu der Uhr auf dem Kaminsims und den Zeigern, die unaufhaltsam vorrückten. Wie ein Countdown zu dem unvermeidlichen Moment, in dem er sie wieder anfassen würde.
Rafaele hingegen berührte dieser Gedanke offensichtlich überhaupt nicht. Er wirkte in sein Buch vertieft und griff nur ab und zu nach dem Weinglas vor ihm auf dem
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