Der Ring Der Jaegerin
hatten. Dann packte ich mein Bündel für eine Übernachtung außer Haus und machte mich mit Minni auf den Weg zum Heim des Weisen.
Wir wanderten in nebeliger Morgenluft durch die Laubengänge. Ich zog die Kapuze meines Umhangs über den Kopf und vergrub die Hände tief in den Ärmeln des grauen Angorapullovers. Kalt war mir nicht, aber es legte sich ein unangenehm feuchter Hauch über mein Gesicht und kühlte die Wangen. Von der Landschaft war nicht viel zu sehen, der weiße Schnee und der Nebel gingen ohne erkennbare Grenze ineinander über. Minni schien aber den Weg zu kennen, und so orientierte ich mich an ihrem blauweißen Kopftuch und trottete wortlos hinter ihr her.
Das Gelände war zunächst leicht abschüssig, wurde dann ebener. Die Schneeschicht erschien mir dünner zu werden, hin und wieder schauten sogar graubraune Grasbüschel heraus. Als wir an einer weiteren Laubensiedlung vorbeikamen, die plötzlich geisterhaft aus dem Nebel vor uns emporwuchs, konnte man sogar das Blattwerk erkennen.
»Kommen wir in wärmere Gegenden, Minni?«
»Ja, etwas südlicher und ein bisschen tiefer gelegen als das Laubental. Aber das Wetter ändert sich auch hier. Ich fürchte, es wird kälter. Macht dir das etwas aus?«
»Ich weiß nicht, wahrscheinlich werde ich Frostbeulen bekommen. Oder mir friert die Nase ab. Und dann?«
»Glaubst du wirklich?« Erschrocken drehte sich Minni zu mir um.
»Wenn ich viel draußen bin, kann das schon passieren. Aber noch ist mir warm.« Mit einem seltsamen Gleichmut nahm ich diese durchaus realistischen Folgen in Kauf.
Der Nebel wurde schließlich zu einer weißlich strahlenden Suppe, die vor einer wässerigen Sonne waberte. Die Sicht wurde an manchen Stellen klarer, und die Landschaft zeigte eine graubraune Steppe mit kahlen Baumgerippen, kaum mehr weiß überpudert. Nicht eben schön, doch ging ein gewisser Reiz von dieser leeren Welt aus. Die Stille mochte die Wirkung unterstützen. Außer den heiseren Rufen einiger Krähen im blattlosen Geäst der Bäume war es still. Selbst der Wind hatte sich gelegt, so raschelten die Gräser nur unter unseren Schritten.
»Viele sind nicht unterwegs in Trefélin.«
»Wir sind Dämmerungsjäger. Tagsüber schlafen die meisten von uns.«
Das hatte ich vergessen. Ich streifte die Kapuze vom Kopf, denn es war in der Mittagssonne warm geworden darunter. Und gegen den Hunger kaute ich ein paar Nüsse. Dann wies Minni mit der Pfote auf eine kleine, bewachsene Anhöhe.
»Die Residenz des Weisen.«
Noch gut zwei Kilometer, und wir waren wieder in einem Laubenlabyrinth. Minni schlug den geraden Weg ein, der auf eine Laubenhalle, ähnlich der des Sitzes der Königin, zuführte. Auch hier gab es einen erhöhten Liegeplatz, auf dem sich allerdings niemand befand. Dafür saßen seitlich davon drei Siamkatzen, riesig natürlich. Sie waren tief in ein Gespräch verwickelt.
»Warte hier, Katharina.«
Gehorsam blieb ich stehen und legte mein Bündel auf den Boden. Minni ging auf die drei hellen Katzen mit den dunkelbraunen Schwänzen zu. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig fand ich diese schmalen Gestalten schon. Aber auch sehr würdig.
Nach den vier oder fünf Stunden Wanderung waren meine Beine sehr müde geworden, darum setzte ich mich auf eine der seitlichen Moosbänke und ließ die Füße baumeln. Die Verhandlungen zwischen Minni und den drei Katzen schienen sich hinzuziehen. Ich döste leicht vor mich hin, darum zuckte ich auch erschrocken zusammen, als mich eine samtweiche Stimme ansprach.
»Gefällt es dir bei uns, Katharina?«
Ich drehte mich zu dem Sprecher um und wäre fast von der Bank gekippt. Der sah ja aus wie der Leibhaftige. Rabenschwarz, funkelnde blaue Augen, große, spitz zulaufende Ohren, mörderische Tatzen. Vorsichtig suchte ich meine Stimme zusammen und bemühte mich, ihr einen selbstbewussten Klang zu geben.
»Danke, ja. Es ist so schön still bei euch.«
»Einer unserer großen Vorzüge und eine wundervolle Voraussetzung, klare Gedanken zu fassen. Oder zu meditieren oder in die Zukunft zu schauen.«
»Ist es das, was ihr hier tut? Entschuldige, du kennst mich. Bist du Amun Hab, der Weise?«
»Ja und ja, Katharina.«
Ich sah ihn einen Moment verwirrt an, dann musste ich wider Erwarten lächeln. »Wenn man zwei Fragen stellt, bekommt man zwei Antworten.«
»Nicht immer.«
»Wieder ertappt. Ich merke schon, man muss bei Weisen vorsichtig mit dem sein, was man sagt.«
»Warum?«
Diesmal hatte er mich fast so weit, dass ich
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