Der Ring der Kraft - Covenant 06
wen hältst du ihn? Er ist ich . Er ist nur eine äußere Manifestation des Teils in mir, der aus Verächtertum besteht. Des Teils meiner selbst, der ...«
»Nein.« Ihr Widerspruch unterbrach ihn, ließ ihn verstummen, obwohl sie diesmal nicht schrie. Sie war zu verbittert und wütend geworden, um noch zu schreien, zu enthemmt in ihrem Grimm, um sich noch von ihm beschwatzen zu lassen. »Er ist nicht du. Er ist derjenige, der sterben wird.« Ebensogut hätte sie sagen können: Ich bin es, der das Töten zufällt. Diese Äußerung war in jedem ihrer Gesichtszüge offenkundig. Aber ihre Gemütserregung hetzte sie an dieser Erkenntnis vorüber, als könne sie sie auf andere Weise nicht ertragen. »Jeder begeht Fehler. Aber was du tun mußt, ist doch, für das zu kämpfen, was du liebst. Du hast eine Antwort auf das alles. Ich nicht.« Der Nachdruck, mit dem sie das behauptete, enthielt keinerlei Selbstmitleid. »Ich habe nie eine gehabt, seit alles angefangen hat. Ich kenne das Land nicht so, wie du's gekannt hast. Ich besitze keine Macht. Mir bleibt nichts anderes übrig, als dir dauernd nachzulaufen.« Sie hob die Hände, zu Fäusten geballt. »Wenn du schon sterben mußt, dann unternimm wenigstens etwas, das deinem Tod einen Sinn verleiht!«
Da begriff Covenant, als wäre er flüchtig von Eis berührt worden, daß Linden nicht bloß gekommen war, um sein Verhalten in Frage zu stellen, weil die Erste ein Ziel genannt haben wollte. Sie möchte wissen, wohin wir segeln sollen. Lindens Vater hatte sich umgebracht und daran ihr die Schuld zugewiesen; und mit den eigenen Händen hatte sie ihre Mutter getötet; und nun wirkte sein Tod ebenso unabwendbar wie die Verwüstung der Erde. Doch diese Dinge dienten nur dem Zweck, ihr zu ihrer früheren Entschiedenheit zurückzuverhelfen. Sie legte nun wieder ihre alte Strenge an den Tag – die gleiche unnachgiebige Selbstzerfleischung und Entschlossenheit, mit denen sie ihm vom Augenblick ihrer ersten Begegnung an getrotzt hatte. Aber die heftige Glut in ihren Augen war neu. Und er erkannte, worum es sich handelte; sie war Ausdruck von Lindens ausweglosem Zorn über all ihren Jammer, und sie fegte in ihrem Verlangen nach Kampf den Gedanken an jeden Preis beiseite, den er kosten mochte. Hast du dich zum Aufgeben entschlossen? Ihre Forderung vergegenwärtigte ihm sein Scheitern mit schmerzlicher Deutlichkeit. Ich habe keine Wahl! hätte er jetzt zetern können. Er hat mich geschlagen! Ich kann nichts mehr tun!
Aber er wußte es besser. Er war Leprotiker und wußte es besser. Die Leprose war selbst eine Art von Niederlage und in dieser Eigenschaft vollkommen und unwiderruflich. Doch sogar Lepraleidende besaßen noch Gründe zum Weiterleben. Atiaran hatte einmal zu ihm gesagt, es sei die Aufgabe der Lebenden, dem Opfer der Toten einen Sinn zu geben; nun aber sah er, daß die Wahrheit weiterreichender Natur war: zu dieser Aufgabe gehörte es auch, den eigenen Tod mit einem Sinn auszustatten. Und das, was die Menschen, die er liebte und schätzte, bereits an Opfern gebracht hatten.
Um Lindens rauher Hartnäckigkeit willen setzte sich Covenant in seiner Hängematte auf. »Was möchtest du von mir unternommen sehen?« erkundigte er sich mit heiserer Stimme.
Seine Frage gab Linden etwas Fassung zurück. Der bittere Leidensdruck ihrer Verlustgefühle mäßigte sich ein wenig. »Ich möchte, daß du ins Land zurückkehrst«, antwortete sie in hartem Ton. »Nach Schwelgenstein. Und die Sonnengefolgschaft zur Hölle jagst. Das Sonnenfeuer löschst.« Die blanke Vermessenheit dessen, was sie von ihm verlangte, ließ Covenant so ruckartig nach Luft schnappen, daß sein Atem zischte; aber sie sprach weiter, ohne auf seine Reaktion zu achten. »Wenn du das machst, wird sich das Sonnenübel in seinem Rhythmus verlangsamen. Vielleicht wird's sogar schwächer. Dadurch erhalten wir eine Frist, um nach einer günstigeren Lösung zu suchen.« Dann verdutzte sie ihn, indem sie in ihrer Erregung ermattete. Während ihrer abschließenden Worte schaute sie ihn nicht an. »Es kann sein, daß das Land mir nicht soviel wie dir bedeutet. Ich hatte zuviel Furcht vor Andelain, um es zu betreten. Ich habe das Land nie so erlebt, wie du es gekannt hast. Aber ich erkenne Krankes, wenn ich's sehe. Hier könnte ich's sogar, wenn ich keine Ärztin wäre, das Sonnenübel hat sich mir in einer Art und Weise eingeprägt, daß ich's nie mehr vergessen werde. Ich will etwas dagegen tun. Andere Möglichkeiten habe ich
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