Der Ring der Kraft - Covenant 06
Covenant nach der von der Sonnengefolgschaft veranstalteten Wahrsagung erfüllte, hatte er den Boden zum Bersten gebracht und gleichzeitig sein einstiges Leuchten zu neuem Leben erweckt. Hier hatte man ihm genug von der Wahrheit enthüllt, um ihn zur Suche nach dem Einholzbaum zu verleiten – doch nur soviel, wie erforderlich gewesen war, um der Suche den Ausgang zu sichern, den Lord Foul wünschte. Trotz ihrer Erschöpfung schauderte Linden zusammen, und sie fragte sich, wieviel mehr Covenant nun offenbar geworden sein mochte.
Da sah sie ihn an einer der Türen stehen; und alle Fragen, die nicht ihn direkt betrafen, rückten in den Hintergrund. Lindens Augen waren plötzlich nur noch voller Silber; sie hatte den Eindruck, ihn kaum sehen zu können, während er Cail fortschickte, in die Helligkeit trat und zu ihr kam. Stumm aus Scham und Sehnsucht, rang sie mit dem Ungenügenden ihrer Sicht, bemühte sich darum, ihr wundes Herz mit dem schlichten Trost seines Anblicks zu besänftigen. Im Glitzern von Silber und Tränen stand er schließlich vor ihr. Alle Einzelheiten waren unkenntlich, überlagert durch den klaren Glanz des Steinbodens, Covenants pure Gegenwart. Linden sah nur, seine Haltung zeigte an, daß er nicht die Absicht hatte, mit ihr zu streiten. O Covenant , wollte sie in aller Eile sagen, bevor seine Erscheinung sie vollends blendete, es tut mir so leid, ich habe einen Fehler begangen, ich habe dich mißverstanden, verzeih mir, nimm mich in die Arme! Aber kein einziges Wort drang über ihre Lippen. Die Nerven ihres Körpers konnten ihn noch wahrnehmen; ihre Sinne spürten die Schwingungen seiner Emanationen. Und die Erstaunlichkeit dessen, was sie wahrnahm, verschloß ihr die Kehle.
Wie er da vor ihr stand, war er rein in jedem Glied, jeder Eigenschaft, stark und ausgestattet mit der gleichen hartnäckigen Willenskraft und Selbstbehauptung, welche ihn von Anfang an für sie so unwiderstehlich gemacht hatten. Am Leben trotz des Sonnenfeuers; voller zärtlicher Zuneigung zu ihr, ungeachtet dessen, was sie ihm anzutun versucht hatte. Aber irgend etwas war aus ihm verschwunden. Etwas hatte sich verändert. Einen Moment lang, während sie sich den Unterschied zu erkennen bemühte, glaubte sie, er sei nicht länger Leprotiker.
Linden zwinkerte heftig und klärte ihre Sicht. Covenants Wangen und Hals waren wieder zu sehen, frei von dem ungepflegten Bart, durch den er so beladen und ruhelos wie ein Prophet gewirkt hatte. Die eigentümlich zerschrammte Rötung seiner Haut verriet, daß er sich diesmal nicht der wilden Magie bedient hatte, um den Bartwuchs zu beseitigen; er hatte sich mit irgendeiner Klinge rasiert. Mit einer Klinge statt mit Feuer, als hätte diese Maßnahme für ihn eine besondere Bedeutung gehabt, als ein Akt der Vorbereitung oder des Abfindens mit irgend etwas. Aber rein äußerlich betrachtet, blieb diese Veränderung oberflächlich. Der grundsätzlichere Wandel war innerer Natur. Lindens erster Eindruck erwies sich als falsch; sie sah nun, seine Lepra war noch vorhanden. Seine Finger, Handflächen und Fußsohlen waren gefühllos. Die Krankheit steckte noch immer latent in seinem Gewebe. Trotzdem war etwas aus ihm verschwunden. Etwas war umgewandelt oder ausgemerzt worden.
»Linden.« Covenant sprach ihren Namen aus, als wäre das ihm genug – als hätte er sie lediglich rufen lassen, um ihren Namen zu ihr zu sagen. Doch ihn erfüllte alles andere als Schlichtheit. Seine inneren Widersprüche waren geblieben, charakterisierten nach wie vor sein Innenleben. Doch er war wie neu geboren, war rein und pur geworden. Es hatte den Anschein, als wären seine Zweifel verflogen – als wären die Selbstvorwürfe und Selbstanklagen, mit denen er sich herumgequält hatte, im Sonnenfeuer in Sicherheit, Klarheit und Erlauchtheit umgeschmolzen worden. Es war, als wäre es ihm gelungen, sich das Gift des Verächters auszubrennen.
»Ist es ...?« begann Linden verwundert. »Wie hast du ...?« Aber das Licht rings um ihn schien übervoll zu sein mit den unerhörtesten Möglichkeiten, und Linden vermochte ihre Frage nicht zu vollenden.
Zur Antwort lächelte Covenant ihr zu; und für einen Augenblick, der Linden fassungslos machte, hatte sie das Gefühl, das gleiche Lächeln zu sehen, das er Joan schenkte, als er sein Leben gegen ihres ausgetauscht hatte, sich Lord Fouls Bosheit auslieferte, um sie zu befreien. Ein Lächeln solcher Tapferkeit und solchen Bedauerns, daß Linden bei diesem Anblick beinahe
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