Der Ring der Kraft - Covenant 06
verstand, als Cail zu ihr kam und ihr mitteilte, der Ur-Lord wünsche sie zu sprechen.
Sie war zu erschöpft, um darüber erschrocken zu sein. Noch jetzt konnte sie Covenant vor sich sehen, wie er im Sonnenfeuer stand, bis all sein Schwarz weggebrannt war, als hätte er die üble Glut irgendwie in die Gewalt bekommen und in einen Segen verwandelt. Sein Bild füllte den gesamten Hintergrund ihres Denkens aus. Aber sie war ausgelaugt und nicht mehr fähig zur Furcht.
Umsichtig beendete sie ihre Arbeit. Unterdessen gab sie Durris letzte Anweisungen. »Wenn das Sonnenfeuer erloschen ist, sagt Nom, sie soll den Kanal schließen, damit das Wasser wieder hinfließt, wo es hingehört. Außerdem will ich, daß man die Leichen hier rausschafft. Sagt Nom, sie möchte sie draußen vor den Toren begraben.« Zumindest soviel Anstand hatten die Gefallenen verdient. »Du und deine Kameraden, ihr kümmert euch um diese Leute hier.« Sie deutete auf die Menschen, die ringsum in ihrem Leid und ihren Verbänden aufgereiht lagen. »Das Land wird sie noch brauchen.« Covenants Behauptung, Sunder und Hollian wären die Zukunft des Landes, war ihr vollauf verständlich. Diese verletzten Männer und Frauen mochten, nunmehr von der Herrschaft der Sonnengefolgschaft befreit, eines Tages dem Lande wieder wirklich von Nutzen und dienlich sein.
Durris und Cail blinzelten Linden an, die Mienen im mangelhaften Licht der Fackeln ausdruckslos. Sie waren Haruchai, keine Heiler; sie betrachteten Verletzungen und Versagen mit Geringschätzung. Und welchen Grund hatten sie, aus dem sie sich nach ihren Wünschen richten sollten? Ihre Ergebenheit galt nicht Linden, sondern Covenant. Brinn und Cail hatten sie einmal beschuldigt, ein Werkzeug der Verderbnis zu sein.
Doch die Haruchai waren vom Schicksal des Landes nicht unbeeinflußt geblieben. Die Wasserhulden und die Sonnengefolgschaft hatten sie ihre Grenzen gelehrt. Und Brinns Sieg über den Wächter des Einholzbaums hatte das Seine getan, um zu Ankertau Seeträumers Tod zu führen und die Manipulationen des Verächters zu begünstigen. Auf sonderbare Weise waren die Haruchai gedemütigt worden. »Es wird geschehen«, sagte Cail, als wäre er noch immer ungerührt von allem, sobald Linden den Blick zu ihm hob. »Du bist Linden Avery die Auserwählte. Es wird geschehen.«
Während sie insgeheim seufzte, tat sie für den letzten Verwundeten, was sie noch tun konnte, sah ihn währenddessen sterben, weil sie nur eine einzelne Frau war und dazu außerstande gewesen, sich rechtzeitig seiner anzunehmen. Dann streckte sie ihre steifen Knie und verließ mit Cail die Eingangshalle. Als sie sich abwandte, fiel ihr am Rande des Lichtscheins, in der Nähe des Portals, eine ebenholzschwarze, durch Vollkommenheit gekennzeichnete Gestalt auf. Hohl war wieder zur Stelle. Irgendwie mußte er das Ende der Sonnengefolgschaft gespürt und erkannt haben, daß er sich nun gefahrlos zu den Gefährten zurückgesellen durfte. Aber Linden hatte es sich längst abgewöhnt, sich Gedanken über das zu machen, was der Dämondim-Abkömmling trieb. Sie verlor ihn aus den Augen, als sie die Gänge hinter dem Eingangssaal betrat; und damit vergaß sie ihn.
Cail geleitete sie tief hinab in einen Teil Schwelgensteins, den sie nicht kannte. Das Hin und Her und Durcheinander des vergangenen Tages hatte ihr Orientierungsvermögen dermaßen verwirrt, daß sie sich keinen Eindruck davon verschaffen konnte, wo die Halle der Geschenke lag und welche Richtung Cail und sie nun durch die verzweigte Festungsstadt nahmen; und immer weniger vermochte sie in ihrer Wahrnehmung, indem das Sonnenfeuer herabflackerte und sich dem vollständigen Verlöschen näherte, die Heilige Halle zu unterscheiden, die weit hinter ihnen zurückblieb. Doch während sie mit Cail einen Flur durchquerte, der wie ein Stollen auf die Quelle einer unheimlichen, silbernen Helligkeit zuführte, begann sie zu ahnen, wohin sie sich unterwegs befanden.
Der Flur mündete in ein geräumiges, rundes Gewölbe. Ringsum gab es in gewissen Abständen Türen; die Mehrzahl war geschlossen. Oberhalb der Türen waren bis hinauf zur hohen Decke Erker mit steinernen Brustwehren angeordnet, die eine Verbindung mit oberen Räumlichkeiten schufen. Linden erkannte das Gewölbe, weil von Wand zu Wand ein scharfer Riß den polierten Granitboden spaltete; der Boden selbst glomm in eigentümlichem silbernen Schimmer, ähnlich wie der Glanz von Covenants Ring. In seinem Übermaß an Kraft, das
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