Der Ring der Kraft - Covenant 06
aller Deutlichkeit, wie weh sie ihm tat, wie sehr jedes ihrer Worte auf ihn verspritzter Säure glich. Aber statt sich zu wehren, bemühte er sich darum, irgendwie zu begreifen, was sich mit ihr ereignet hatte. »Was hat Kevin zu dir gesagt?«
Doch sie kümmerte sich nicht um seine Gekränktheit. Er hatte sie zu hintergehen beabsichtigt. Nun, das war nur richtig so: Was hatte sie jemals getan, durch das sie etwas anderes verdient hätte? Aber sein Vorhaben würde auch die Erde vernichten – eine Welt, die aller Verderbnis und Bosheit zum Trotz unvermindert Andelain an ihrem Busen nährte, in ihrem Herzen noch Erdkraft und Schönheit barg. Er wollte sie dem Untergang preisgeben, weil er aufgegeben hatte. Er hatte das Sonnenfeuer betreten, als wüßte er, was er tat – und hatte die Lohe des Bösen den letzten Rest von Liebe aus seinem Innern herausbrennen lassen. Nur Schein und Hohn waren übrig.
»Du hast auf Findail gehört«, schleuderte Linden ihm entgegen. »Er hat dir eingeredet, es wäre besser, das Land von seinem Elend zu erlösen, statt weiterzukämpfen. Ich hatte mich davor gefürchtet, dir von meiner Mutter zu erzählen, weil ich dachte, du würdest mich hassen. Aber wie's jetzt ist, ist's noch schlimmer. Wenn du mich hassen würdest, bestünde wenigstens noch die Hoffnung, daß du weiterkämpfst.« Dann staute sich Schluchzen in ihr. Nur mit knapper Not vermochte sie es zu unterdrücken. »Du bedeutest mir alles. Du hast mich wieder zu einer Lebendigen gemacht, als ich gedacht habe, ich könnte genausogut tot sein. Du hast mich davon überzeugt, daß es sich lohnt, es immer wieder zu versuchen. Aber jetzt hast du dich fürs Aufgeben entschieden.« In seiner inneren Anspannung, die ihn für ihre Wahrnehmung von der feuchten Dunkelheit abhob, war die Wahrheit offen ersichtlich. »Du willst Lord Foul deinen Ring ausliefern.«
Daraufhin emanierte er ein Wallen stärkster seelischer Erschütterung. Doch seine Emotionen waren mit keinem Leugnen verbunden. Linden erkannte genau, was dahintersteckte. Es war Furcht. Furcht vor den Folgen ihrer Erkenntnis. Vor dem, was sie mit ihrem Wissen anfangen mochte.
»Sag das nicht so«, flüsterte er. »Du verstehst's nicht.« Allem Anschein nach suchte er nach irgendwelchen Argumenten, mit denen er sie für seine Idee einnehmen, ihr dafür Zustimmung abringen oder sie wenigstens dazu bewegen könnte, sich eines Urteils zu enthalten. »Du hast gesagt, du vertraust mir.«
»Da hast du recht«, antwortete sie, indem sie zur gleichen Zeit klagte und weinte und außer sich war vor Wut. »Ich versteh's nicht.«
Sie vermochte die Situation nicht länger zu ertragen. Sie wirbelte herum und floh durch den Regen. Covenant rief ihr nach, als werde in seinem Innern etwas zerrissen; aber sie blieb nicht stehen.
Irgendwann mitten in der Nacht verstärkte sich der Regen zur vollen Stärke eines Sommergewitters. Herbe, kühle Ströme von Regen gossen auf die Hügel herab; Wind sauste durch Äste und Zweige, wie um sie zu zersägen. Doch Linden suchte keinen Schutz. Ihr war an keinem Schutz gelegen. Covenant hatte es in dieser Hinsicht schon zu weit getrieben, sie bereits zu sehr vor der Wahrheit geschützt. Möglicherweise fürchtete er sich tatsächlich vor ihr; schämte sich dessen, was er beabsichtigte, war deshalb darauf bedacht gewesen, es zu verheimlichen. Im Laufe der dunklen Nacht Andelains jedoch ließ sie ihm so viel Gerechtigkeit widerfahren, daß sie anerkannte, er hatte auch versucht, ihr aus Rücksicht auf sie Wahrheiten vorzuenthalten – am Anfang, um sie nicht in die Sache mit Joan und den Notstand des Landes zu verwickeln, dann, um sie vor Lord Fouls Bösartigkeit zu bewahren, und danach, um ihr die unabweisbare Logik seines Sterbenmüssens zu ersparen; und nun, um die Konsequenzen seiner Verzweiflung von ihr abzuwenden, damit sie keine Schuld am Untergang der Erde zu tragen bräuchte. Soviel Gerechtigkeit ließ sie ihm zukommen. Aber das alles war ihr zuwider. Er war ein geradezu klassischer Fall: Menschen, die sich zum Freitod entschlossen hatten und nicht gerettet zu werden wünschten, waren typischerweise ruhig und selbstsicher, ehe sie sich das Leben nahmen. Das bloße Mitleid mit ihm hätte ihr, wäre sie weniger zornig gewesen, das Herz gebrochen.
Es wäre alles leichter für sie gewesen, hätte sie glauben können, er sei schlecht. Oder sicher sein dürfen, daß er den Verstand verloren hatte. Dann wäre ihr lediglich die Verantwortung dafür
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