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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Ich kann dich verstehen, Robin, aber es ist nicht so, wie du denkst.«

»Ach? Was denke ich denn? Was glaubst du wohl, was ich denke, Harun al Dhin? Dass alle Moslems Barbaren und gottlose Unmenschen sind? Dass ihr Menschen wie Vieh behandelt, wie etwas, das man benutzt und wegwirft, wenn man es nicht mehr braucht? Wenn du glaubst, dass es das ist, was ich denke, dann hast du Recht. Aber ich denke noch mehr, weißt du! Ich wünsche mir, dass die Templer, die Johanniter und der König von Jerusalem mit Feuer und Schwert über all eure Städte herfallen und sie niederbrennen.«
    »Hüte deine Zunge, Christenmädchen!«, sagte Harun verärgert und wich einen Schritt zurück. »Du bist erregt und du hast Angst. Was für mich Entschuldigung genug für diese Worte ist. Aber sollten sie an die falschen Ohren dringen, dann wären sie allein Grund für deinen Tod.«
    Robin lachte bitter. »Willst du mir drohen? Spar dir deinen Atem, alter Mann. Was könnte schlimmer sein als das, was ich gerade dort unten gesehen habe?«
    »Eine Menge«, sagte Harun düster. »Mehr, als du dir vorstellen willst, Kind, glaub mir.«
    Robin wurde immer wütender. Sie wollte Harun verletzen. Sie wollte ihm wehtun, obwohl sie wusste, dass er von allen hier im Haus gewiss am wenigsten für das konnte, was sich gerade unten im Hof abspielte. »Das glaube ich dir sogar!«, stieß sie zornig hervor.
    »Man hat mir gesagt, Ihr hättet eine hohe Kultur. Dass Ihr uns in mancherlei Beziehung ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen wärt. Was Grausamkeiten angeht, seid Ihr es ganz sicher, das bezweifle ich nicht!«
    Harun schüttelte mit einem tiefen Seufzen den Kopf. »Ich weiß, dass das nicht deine wahre Meinung ist«, beharrte er. »Der Schmerz verschleiert dir die Sinne. Nehmt Ihr Christen etwa keine Sklaven?«
    »Nein!«, behauptete Robin bestimmt. Aber ganz sicher war sie nicht.
    Das Lächeln, das für einen Moment auf Haruns Lippen erschien, war so sanftmütig und verzeihend, dass Robin an sich halten musste, um ihm nicht mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. »Nun, darüber sollten wir ein andermal sprechen«, sagte er. »Aber wenn schon nicht an deine Gefühle, dann lass mich wenigstens an deine Vernunft appellieren, Christenmädchen. Was du gerade gesehen hast, ist nicht schön. Und doch: Einem Sklaven im Haus eines guten Herrn wird es hundertmal besser gehen als einem armen Fischer in einem heruntergekommenen Dorf, wo der Hunger täglich zu Gast ist, meinst du nicht auch?«
    »Lieber würde ich hungern, als unfrei zu sein!«
    »So kann nur jemand reden, der noch niemals wirkliche Not gelitten hat«, sagte Harun milde. Seine Sanftmütigkeit machte Robin schier rasend. Sie zitterte am ganzen Leib. Sie wusste nicht, wie lange sie sich noch würde beherrschen können. »Ich selbst habe etliche Sklaven«, fuhr Harun fort, »und sie führen ein gutes Leben bei mir. Glaube mir, nicht einer von ihnen würde mich verlassen. Es ist mit einem Sklaven wie mit einem guten Pferd, und ein kluger Herr weiß das. Gehst du sorgsam mit ihnen um, dann sind sie treu und dankbar und leisten gute Arbeit.« Er lachte leise. »Und wenn man ein so weiches Herz hat wie ich, dann tanzen sie einem auch schon einmal gehörig auf der Nase herum.«
    Robin starrte ihn aus flammenden Augen an. Dann drehte sie sich bewusst langsam herum, trat an den Vogelkäfig heran und öffnete ihn.
    Harun sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein, tat jedoch nichts, um Robin aufzuhalten, und auch Aisha machte nur einen erschrockenen halben Schritt und blieb mitten in der Bewegung wieder stehen, als ihr Herr eine rasche Geste mit der Hand machte.
    Vielleicht war es auch nicht nötig, dass einer von beiden etwas tat, um Robin zurückzuhalten. Die beiden Vögel hatten aufgehört zu singen und von einer Stange auf die andere zu hüpfen. Sie starrten wie verdutzt auf die plötzlich offene Tür. Eines der Tiere hatte sich geduckt, als hätte es Angst. Robin blickte sie ihrerseits einen Moment lang völlig verdattert an, dann schlug sie wütend zwei-, dreimal mit der flachen Hand so hart an den Käfig, dass er von seinem Tisch zu stürzen drohte. Die beiden Vögel flogen erschrocken auf, flatterten durch die offen stehende Tür und durch das Fenster davon und waren verschwunden.
    »Oh, Robin«, seufzte Harun. »Du hast ihnen damit keinen Gefallen getan.«
    »Sie sind frei, oder?«
    »Diese Tiere sind nicht aus diesem Teil des Landes«, antwortete Harun. »Sie werden es schwer haben.

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