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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich auf einer anderen, viel machtvolleren Ebene ihres Bewusstseins erholt und gestärkt. Sie bezweifelte ernsthaft, ob sie die Kraft haben würde, auch nur aufzustehen, geschweige denn, einen Schritt zu tun, aber sie hatte dem Schicksal getrotzt, dem Tod, der sie nun zweifellos erwartete, gezeigt, dass sie ihn nicht fürchtete, und ein allerletztes Mal die Freiheit gekostet. Und welchen Preis auch immer sie für diese wenigen Stunden würde zahlen müssen - sie waren es wert gewesen.
    Robin schloss die Augen wieder, drehte den Kopf auf dem weichen Kissen und genoss für einen Moment das warme Streicheln des Sonnenlichtes. Gedämpfte Stimmen drangen an ihr Ohr, das Plätschern des Springbrunnens draußen auf dem hinteren Hof und das dumpfe, an- und abschwellende Summen der Stadt. Sie brauchte nicht viel Fantasie, um eine andere Erinnerung heraufzubeschwören, die sich vollkommen von diesem Augenblick und diesem Ort unterschied und ihm doch auf sonderbare Weise glich: Es war das letzte Mal gewesen, dass sie mit Salim zusammen war, im vergangenen Herbst, irgendwo in der Nähe von Nürnberg und nur wenige Tage bevor der Winter hereinbrach und Bruder Abbé und die anderen entschieden, dass sie bis zum Frühjahr Quartier in der großen Stadt machen würden. Danach hatte es keine Möglichkeit mehr für Salim und sie gegeben, sich einen halben Tag oder auch nur eine Stunde zu stehlen. Sie erinnerte sich nicht mehr, worüber sie gesprochen hatten, nicht einmal mehr wirklich, was sie in all diesen Stunden allein im Wald getan hatten, aber es waren ihre letzten Stunden zusammen und allein gewesen, und das allein zählte. Sie spürte plötzlich, dass sie nicht allein im Zimmer war. Mit einem Schlag war sie hellwach und fuhr erschrocken hoch. Im selben Moment bemerkte sie auch schon einen Schatten neben dem Bett; riesig, verzerrt hinter den dünnen Seidenschleiern und so formlos und schwarz wie einer der Dämonen aus ihren Albträumen, der sie ins Erwachen begleitet hatte. Ihr Herz begann heftig zu hämmern. Sie streckte die Hand nach dem Vorhang aus, stockte einen Moment, als sie spürte, wie sich Furcht in ihr breit zu machen begann, und riss die dünnen Seidenschleier zur Seite.
    Im nächsten Augenblick hätte sie fast erleichtert aufgeatmet. Es war kein Dämon, kein Fleisch gewordener Nachtmahr, sondern der Sklavenhändler, der, vollkommen in Schwarz gekleidet, hoch aufgerichtet und mit vor der Brust verschränkten Armen neben ihrem Bett stand und auf sie herabsah. Aber vielleicht war ihre Erleichterung ja verfrüht. Ganz egal, wie schlimm sie waren, Albträume pflegten zu verschwinden, sobald man erwachte. Omar tat das nicht. Er stand einfach da und sah sie an, und der Gedanke, dass er sie vielleicht schon eine ganze Weile beobachtet hatte, erfüllte Robin mit Unbehagen.
    »Wie lange steht Ihr schon da?«, fragte sie.
    Omar antwortete nicht direkt, sondern tat etwas, was Robin noch mehr beunruhigte als seine bloße Anwesenheit: Er lächelte. »Weißt du, dass du recht hübsch aussiehst?«, fragte er. »Zumindest für eine Ungläubige, und wenn du nicht gerade mit einem Schwert in der Hand herumläufst und auf Menschenjagd gehst.«
    »Da, wo ich herkomme«, erwiderte Robin trotzig, »hat jeder das Recht, mit dem Schwert in der Hand für seine Freiheit zu kämpfen.«
    »Freiheit.« Omar betonte das Wort auf eine sonderbare Art, die sie nicht recht einordnen konnte. Sein Blick verharrte noch einen Moment auf ihrem Gesicht und schien sich dann in eine unbestimmte Weite zu verlieren. »Ein großes Wort. Du benutzt es oft und gerne, nicht wahr?«
    »Nur, wenn ich es muss«, antwortete Robin. »Ist es nicht auch bei euch so, dass man am meisten über das spricht, was man am schmerzlichsten vermisst?«
    Omar sah sie nur stumm an. Robins Stimme hatte nicht halb so selbstsicher oder gar verächtlich geklungen, wie sie es sich gewünscht hätte, und selbst in ihren eigenen Ohren hörten sich die Worte unbeholfen an, sie betonten ihre Unsicherheit mehr, statt sie zu verbergen.
    »Freiheit«, sagte Omar Khalid noch einmal. Er wandte sich langsam um und trat ans Fenster. Mit in den Innenhof hinabgewandtem Blick und sonderbar veränderter Stimme fuhr er fort: »Du benutzt dieses Wort wirklich oft, Christenmädchen. Zumal für jemanden, der selbst mit dem Schwert in der Hand hierher gekommen ist, und unter dem Wappen derer, die es sich zu ihrem erklärten Ziel gemacht haben, einem ganzen Volk seine Heimat wegzunehmen - und damit die

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