Der Ring des Sarazenen
Bedingungen blieb ihnen kaum eine andere Wahl, als dem einmal eingeschlagenen Weg zu folgen. Wenn ihr Orientierungssinn sie nicht völlig im Stich gelassen hatte, dann mussten sie sich jetzt ungefähr auf halbem Wege zwischen Omars Haus und dem Fluss befinden, - somit auf halbem Weg zur Freiheit. Wenn ihre Glückssträhne auch nur noch so lange anhielt, dass sie den vor ihnen liegenden Platz überqueren und in das Labyrinth schmaler Sträßchen und Gassen dahinter eintauchen konnten, dann waren sie endgültig gerettet.
Sie hielt nicht an. Wenn es so etwas wie ein allmächtiges, lenkendes Schicksal wirklich gab, dann hatte sie ihren Kredit bei ihm in dieser Nacht eindeutig überzogen. Robin und Nemeth hatten gerade die Mitte des Platzes erreicht, als hinter ihnen ein erschrockener Ruf aus der Gasse drang. Vielleicht wäre alles gut gegangen, denn die Nacht war voller durcheinander schreiender Stimmen und hundertfachem anderem Lärm, aber Robin wusste nur zu gut, was dieser Schrei bedeutete - und diesmal tat sie das Falsche.
Sie fuhr erschrocken zusammen, packte Nemeth bei der Hand und rannte los. Natürlich erregte sie damit die Aufmerksamkeit des halben Dutzends Männer auf der anderen Seite des Platzes. Zwei oder drei von ihnen wichen überrascht zurück, als sie die Gestalt in dem zerfetzten, blutbesudelten Kaftan auf sich zurasen sahen, zwei andere, etwas beherztere Männer jedoch vertraten ihr den Weg. Obwohl sie nur mit Knüppeln und kurzen Messern bewaffnet waren, machte der grimmige Ausdruck auf ihren Gesichtern Robin sofort klar, dass sie nicht kampflos zurückweichen würden.
Und sie beging noch einen Fehler: Wäre sie einfach weiter gestürmt und hätte den Moment der Überraschung und den Schwung ihres Laufs genutzt, wäre es ihr vielleicht ein Leichtes gewesen, die beiden Männer zu überrumpeln und auszuschalten; wahrscheinlich sogar, ohne sie dabei ernsthaft zu verletzen. Aber sie blieb stehen. Ihre Fantasie spielte ihr einen bösen, alles entscheidenden Streich. Für einen Moment sah sie noch einmal das Gesicht des sterbenden Soldaten oben in ihrem Zimmer vor sich, glaubte wieder den Ausdruck verständnislosen Entsetzens in seinen Augen zu sehen und spürte erneut die schmerzende Erkenntnis, einen Menschen getötet zu haben, der nicht wirklich ihr Feind gewesen war.
Als der Moment vorüber war, hatte sich das Bild vor ihr vollends geändert. Zu den beiden Männern, die ihr den Weg in die Gasse hinein verwehrten, hatte sich ein dritter gesellt und die grimmige Entschlossenheit und Furcht war aus ihren Gesichtern gewichen. Einer der Männer blinzelte nur verstört, die beiden anderen blickten sie hin und her gerissen zwischen Verblüffung und einer Art hysterischer Heiterkeit an, die Robin im ersten Moment überhaupt nicht verstand. Die drei waren keine Krieger, sondern normale Männer aus der Stadt: Handwerker, Fischer, Bauern oder Händler. Kein Wunder, dass sie Angst hatten. Wenn auch jeder von ihnen Robin um mehr als Haupteslänge überragte, so trug s ie doch einen Schild am linken Arm und ein gut meterlanges Schwert mit einer blutbesudelten Klinge in der rechten Hand.
Und einen weißen Turban, der sich im Verlauf des Kampfes mit dem Hund gelöst hatte und nun vollends von ihrem Haupt rutschte, sodass er wie ein Schal über ihrer rechten Schulter lag. Robins Haar war zwar noch immer so kurz geschnitten wie das eines Mannes, aber selbst in dem flackernden Licht, das auf dem Platz herrschte, konnte wohl niemand mehr übersehen, dass kein Krieger, sondern eine junge Frau vor ihm stand.
»Oje«, murmelte Robin. Laut sagte sie: »Gebt den Weg frei! Ich muss dieses Mädchen zu Omar Khalid bringen!«
Einer der drei Männer - der Einzige, der so etwas Ähnliches wie eine Waffe in der Hand hielt - legte den Kopf auf die Seite und trat einen halben Schritt auf sie zu, statt zurückzuweichen. »Omar Khalid?«, fragte er misstrauisch. »Was hast du mit Omar Khalid zu schaffen?«
»Was geht dich das an?«, fragte Robin unfreundlich. »Gib den Weg frei. Ich bitte dich kein drittes Mal.«
Sie machte eine drohende Bewegung mit dem Schwert, die ihre angestrebte Wirkung verfehlte. Die Waffe war blutig. Von ihrer Hand tropfte Blut, und ihre Kleider waren zerrissen. Ihr Gegenüber musste schon blind sein, um nicht zu sehen, dass sie einen Kampf auf Leben und Tod hinter sich hatte - und ganz offensichtlich als Siegerin daraus hervorgegangen war. Sie konnte erwarten, dass er erschrocken zurückzuckte. Aber das
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