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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Mittel- und Zeigefinger der Rechten zwang er ihre Lider hoch. So musste sie auch weiterhin zusehen, wie Ribauld die Wunde rasch und geschickt mit in kaltes Wasser getauchten Leinentüchern verband und anschließend noch eine zweite, straffer sitzende Bandage anlegte. Er ging dabei geschickt und sehr ruhig zu Werke - und teilnahmslos. Wie konnten Hände, die imstande waren, so viel Gutes zu tun, zugleich auch so viel Unheil anrichten?
    »Warum tut Ihr das, Ribauld?«, schluchzte Robin. »Von diesen Ungeheuern hier hätte ich nichts anderes erwartet, aber Ihr? Ihr seid ein Christ! Wie könnt Ihr so etwas tun?«
    »Ich habe die Kunst der Kastration bei einem Medicus in Rom erlernt«, antwortete Ribauld ruhig, »der ausschließlich für Papst Alexander III. und den Klerus gearbeitet hat. Es wird dich vielleicht überraschen, Mädchen, aber der Papst hatte große Freude an den hellen Singstimmen von Knaben.« Er zuckte wie beiläufig mit den Schultern. »Und um diese Singstimmen zu erhalten, ist es meiner Meinung nach unumgänglich, sie in einem bestimmten Alter beschneiden zu lassen.« Er wechselte plötzlich in seine Muttersprache.
    »In diesem Teil der Welt dürfen nur christliche und jüdische Ärzte die Kastration vornehmen, musst du wissen. Die Worte des Propheten verbieten es den Gläubigen, einen Menschen auf diese Weise zu verstümmeln. Aber es gibt nun einmal großen Bedarf an Kastraten und so erteilt man die Aufgabe Ungläubigen wie mir.« Ein dünnes, bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er sorgsam den Sitz des Verbands überprüfte, den er dem Jungen angelegt hatte.
    »Nenn es doppelte Moral, Mädchen, aber nach den Buchstaben des Korans wird so gegen kein Gebot verstoßen.«
    »Und nach denen der Bibel?«, fragte Robin bitter.
    Die beiden Wachen hoben Rustan fast behutsam vom Tisch. Einer der Männer griff dem Jungen unter die Achseln und stellte ihn auf die Füße, der andere ließ sich vor ihm in die Hocke sinken und schlug ihm mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht; nicht wirklich fest, aber doch nachhaltig genug, dass er mit einem wimmernden Laut wieder erwachte. Er begann zu weinen und seine Beine zuckten unkontrolliert. Auf dem gerade erst frisch angelegten Verband bildete sich ein dunkelroter, rasch größer werdender Fleck.
    »Warum quält Ihr ihn so?«, schluchzte Robin. »Lasst ihm doch wenigstens die paar Augenblicke ohne Qual.«
    Der fränkische Arzt wandte sich langsam zu ihr um und schüttelte in ehrlichem Bedauern den Kopf. »Ich wollte, das wäre mir möglich. Aber er muss in Bewegung bleiben, damit sich keine üblen Säfte in der Wunde sammeln. Mach dir keine Sorgen. Er ist ein kräftiger Junge. Er wird es überleben. Wenn er die nächsten zwei Tage durchsteht, dann wird er wieder ganz gesund.«
    »Du verfluchter Heuchler!«, keuchte Robin. Wieder bäumte sie sich gegen ihre Fesseln auf. Die Stricke waren so fest, dass sie sich dabei nur selbst Schmerz zufügte, aber zumindest ließ Omars Leibwächter ihren Kopf los. In sinnloser Raserei schlug sie ein paar Mal mit dem Hinterkopf gegen die hohe Lehne aus hartem Holz, dann sank sie in sich zusammen und begann haltlos zu weinen. »Ich dachte, du wärst der einzige Mensch hier, Ribauld, aber ich muss mich wohl getäuscht haben. Du bist das größte Ungeheuer von allen. Ich wünsche dir, dass du auf ewig im Fegefeuer brennst.«
    Der Arzt zeigte sich von ihren Verwünschungen wenig beeindruckt. Einen Moment lang stand er noch da und sah sie auf eine Art an, als wäre ihm der Sinn ihrer Worte nicht ganz klar, dann zuckte er mit den Schultern, ging zum Tisch und begann, sorgfältig und scheinbar ganz auf seine Arbeit konzentriert, seine Instrumente zu säubern. Wie beiläufig und wieder in seiner Muttersprache fragte er: »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, Mädchen, wer letzten Endes die Schuld an alledem hier trägt? Statt mich zu verfluchen, solltest du Gott dafür danken, dass das arabische Kind, an das du offensichtlich dein Herz verloren hast, ein Mädchen ist. Wäre es ein Knabe, dann hätte er jetzt hier gelegen, nicht dieser arme Junge.«
    Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Robins Zunge aus. So gerne sie Ribauld widersprochen hätte, ihn weiter verflucht und seine Seele in die tiefsten Abgründe der Hölle gewünscht hätte - so sehr wusste sie, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen. Und deshalb taten sie so weh. Insgeheim hatte Robin sogar damit gerechnet, dass Omar Nemeth für ihre Verfehlung

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