Der Ring des Sarazenen
vielleicht zu optimistisch? War sie wirklich gerettet?
Unsinn! Sie hatte so viel durchgemacht, dass sie sich wohl schon nicht mehr vorstellen konnte, dass es Menschen gab, die es ganz ohne Vorbehalt und Hintergedanken einfach nur gut mit ihr meinten. Es wurde Zeit, sich daran zu erinnern, dass nicht alle Fremden automatisch auch ihre Feinde waren.
Sie verscheuchte den Gedanken an Verrat. Das war absurd. »Ich würde mich gerne draußen umsehen«, sagte sie. »Natürlich nur, wenn ihr nichts dagegen habt.«
Da sie wusste, dass Saila und ihre Mutter sie nicht verstehen konnten, begleitete sie ihre Worte mit erklärenden Gesten, aber entweder missverstanden die beiden Frauen sie völlig, oder ihr Ansinnen war nicht ganz so harmlos, wie es ihr erschien. Zwischen Saila und ihrer Mutter entbrannte jedenfalls ein kurzer Disput, den die ältere Frau schließlich mit einer energischen Handbewegung beendete. Sie schien nicht begeistert von Robins Idee zu sein, das Zelt zu verlassen.
Robin dachte jedoch nicht daran, sich wie eine Gefangene behandeln zu lassen. »Ich laufe bestimmt nicht weg. Ich möchte nur wissen, wo ich bin und was aus den anderen geworden ist. Ich war nicht allein auf dem Schiff. Habt ihr noch andere wie mich dort draußen im Meer gefunden?«
Sie versuchte, ihre Frage mit entsprechenden Gebärden zu verdeutlichen, aber diesmal erntete sie nur einen verständnislosen Blick. Nach einem Moment gab sie es auf, erhob sich und machte einen Schritt in Richtung Ausgang.
Sie war nicht überrascht, als Saila sie am Gewand festhielt und heftig den Kopf schüttelte.
»Bitte, Saila«, sagte Robin. Sie zögerte einen Moment, denn sie fürchtete, eine Grenze zu überschreiten, aber dann fasste sie nach Sailas Hand und löste sich aus ihrem Griff.
»Du brauchst keine Angst zu haben», sagte sie. »Ich will nicht weglaufen oder so etwas.«
Saila zögerte. Sie sah so erschrocken aus, dass sich Robin einen Moment lang fragte, ob sie möglicherweise nicht besser beraten war, auf die Araberin zu hören. Aber dann verscheuchte sie diesen Gedanken und machte einen weiteren Schritt in Richtung des Zelteingangs.
Sie kam auch diesmal nicht bis zur Plane. Sailas Mutter war unerwartet behände aufgestanden und trat ihr in den Weg. Sie begann laut, fast schon schreiend, auf Robin einzureden und gestikulierte dabei heftig mit beiden Händen. Offensichtlich würde sie den Weg nicht freigeben, es sei denn, Robin wandte Gewalt an.
Doch so weit würde Robin nicht gehen. Und es war auch nicht nötig. Auch Saila erhob sich nun, trat mit einem raschen Schritt zwischen sie und die alte Frau. Mit ruhigen Worten besänftigte sie ihre Mutter, bevor sie sich wieder zu Robin umdrehte. Robin verstand jetzt so wenig wie zuvor, aber ihr besorgter, fast schon beschwörender Tonfall war deutlich genug. Ohne Robins Antwort abzuwarten, streifte sie ihr ein Tuch in der Farbe ihres Gewandes über Kopf und Schultern. Dann zog sie einen Zipfel des Tuchs hoch, sodass er Mund und Nase bedeckte, und steckte ihn seitlich am Kopftuch fest.
Unwillkürlich hob Robin die Hand, um den störenden Schleier vor dem Gesicht wegzureißen. Doch dann verharrte sie mitten in der Bewegung. Saila und ihre Mutter waren beim Hereinkommen verschleiert gewesen und sie wusste von Salim, dass die Frauen in diesem Teil der Welt oftmals ihre Gesichter verhüllten. Bis jetzt hatte sie sich niemals vorzustellen versucht, wie es wäre, einen Schleier zu tragen. Irgendwie fand sie es entwürdigend, ihr Antlitz vor dem Licht der Sonne zu verbergen. Doch was hätte sie in diesem Moment auch anderes tun können? Schließlich wusste sie weder etwas über diese Menschen und ihre Sitten und Gebräuche, noch hatte sie hier irgendetwas zu fordern.
Sie ließ die Hand wieder sinken und bedeutete Saila mit einem Nicken, dass sie bereit war. Saila befestigte mit einer geübten Bewegung ihren eigenen Schleier vor dem Gesicht, dann drehte sie sich um und schlug die Zeltplane vor dem Eingang zurück. Sailas Mutter ließ ihr Gesicht unbedeckt, aber sie machte auch keine Bewegung, um das Zelt zu verlassen, sondern sah Robin nur missbilligend an. Ein seltsames Gefühl beschlich Robin, als sie Saila folgte.
Es dauerte diesmal nur einen Moment, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Die Sonne war weiter gewandert und blendete sie nicht mehr so sehr wie zuvor, außerdem dämpfte der Schleier das Licht.
Rasch trat sie aus dem Zelt hinaus und wandte sich nach links, der dem Meer
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