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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eine weitere Mahlzeit, die ebenso kärglich ausfiel wie die erste. Kaum hatte sie sie verzehrt, ging die Tür auf und einer von Omars Kriegern trat ein und forderte sie mit einer wortlosen Geste auf, ihm zu folgen. Es war nicht der schwarz gekleidete Riese, der sie in den letzten Tagen auf Schritt und Tritt begleitet hatte, und Robin fragte sich erneut, was aus Faruk geworden war. Seit ihr Leibwächter am Morgen so seltsam auf den Ring in Naidas Hand reagiert hatte, war er verschwunden. Robin verzichtete aber darauf, ihrem neuen Bewacher eine entsprechende Frage zu stellen, und beeilte sich, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
    Der Krieger führte Robin auf den rückwärtigen Hof des Hauses, in dessen Mitte ein kleiner Springbrunnen stand. Es war die Stunde der Dämmerung. Das Licht wurde allmählich schwächer, aber über der Stadt lag noch immer die gleiche trockene Hitze, die Robin bereits bei ihrer erbärmlichen Anreise zu schaffen gemacht hatte. Der Brunnen sorgte jedoch für Linderung und das regelmäßige helle Plätschern des Wassers weckte Erinnerungen in Robin, die sie schon fast vergessen zu haben glaubte.
    Naida stand unmittelbar neben dem Brunnen und hatte trotz der Wärme, die Robin noch immer als unangenehm empfand, eine schwere Wolldecke um ihre Schultern geschlungen. Als sie auf sie aufmerksam wurde, wandte sie den Kopf, machte eine knappe, befehlende Geste, auf die hin der Mann mitten im Schritt kehrtmachte und wieder im Haus verschwand, und bedeutete Robin, zur ihr zu kommen. Erneut wurde ihr klar, über welche Macht diese alte und zerbrechlich wirkende Frau in diesem Haus verfügte. Sie ging unwillkürlich schneller, hielt dann aber einen kurzen Moment inne, als sie das Lager aus Decken und bunt bestickten Kissen bemerkte, vor dem Naida stand. Auf dem improvisierten Bett lag eine schmale, in Lumpen gekleidete Gestalt, die Robin erst auf den zweiten Blick als den kranken Jungen aus dem Fischerdorf erkannte, den sie am Morgen vom Fenster aus beobachtet hatte. Er hatte sich auf die Seite gedreht und die Beine an den Körper gezogen.
    Als Robin weiterging, verspürte sie wieder den gleichen, schmerzhaften Stich wie am Morgen. Aus der Nähe betrachtet wirkte der Junge noch bemitleidenswerter und verlorener als auf dem Hof. Er war vielleicht zehn Jahre alt, sehr mager, und hatte kurze schwarze Locken. Die geschlossenen Lider zuckten unruhig, als durchlitte er einen Albtraum, und seine Lippen waren vom Fieber ausgedörrt und so rissig, dass sein Mund wie eine verschorfte, blutige Wunde in seinem Gesicht wirkte.
    »Du hattest Zeit, deine Entscheidung zu treffen«, sagte Naida. »Ich hoffe, du hast sie gut genutzt.«
    Robin sagte nichts, sondern ging wortlos an der Sklavin vorbei und ließ sich neben dem improvisierten Lager auf die Knie sinken. Zitternd streckte sie die Hand aus - die linke Hand, die den Ring trug -, zögerte noch einen Moment und berührte dann die Stirn des Jungen. Sie erschrak, als sie spürte, wie heiß sie war. Die Haut des Knaben schien zu glühen und fühlte sich so trocken und rissig wie Felsgestein in einer Wüste an. Obwohl sie nur seine Stirn und nicht seinen Hals berührte, konnte sie deutlich fühlen, wie sein Herz jagte. Er roch schlecht, nach saurem Schweiß und Schmutz, aber auch nach Krankheit; einer Krankheit, die seinen Körper von innen verbrannte, so wie das Fieber seine Haut glühen ließ.
    »Sein Name ist Rustan«, sagte Naida. »Er ist zehn Jahre alt. Ein hübscher Junge, nicht wahr?«
    Robin hob den Kopf und sah fragend zu der Sklavin hoch. Sie erwiderte nichts.
    »Vielleicht rettest du ihm das Leben«, fuhr Naida fort und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Vermutlich aber nicht. Und wenn, dann wird er vielleicht in zwei Jahren zu Tode gepeitscht, weil er seinem Herrn einen Krug Wasser über das Gewand geschüttet oder einen verbotenen Blick durch das Fenster eines Harems geworfen hat. Vielleicht begegnet ihr euch aber auch in zehn Jahren wieder, und er bezahlt ein Kupferstück dafür, dich für eine Nacht mit in eine schmutzige Kammer zu nehmen.«
    Robin sagte auch dazu nichts. Selbst die flüsternde Stimme tief in ihrem Inneren schwieg. Und dieses Schweigen tat weh, denn es war ein Schweigen der Zustimmung.
    »Warum quälst du mich so?«, fragte Robin leise.
    Naida verzog die Lippen und stieß verächtlich die Luft aus. »Ich wollte, dass du siehst, wofür du deine einzige persönliche Habe hergibst - und vielleicht dein Leben. Ist es immer noch dein

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