Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Personalien aufnehmen und überprüfen, zig Mal dieselben Fragen stellen. Obendrein waren die Jungs extrem bockig. In gewisser Weise hatte er Verständnis. Die Polizei hatte sie eine ganze Nacht um ihre Einkünfte gebracht. Außerdem sorgten Razzien am Bahnhof nachhaltig für schlechte Verdienste bei den Strichern. Es würde seine Zeit brauchen, bis die lukrativen Freier sich wieder hierher wagten.
Mit jedem weiteren verzickten Stricher wurde Hauptkommissar Wagners Sehnsucht nach einem Drink größer. So kam er nicht voran, aber genau das hatte er ja bereits geahnt.
Zwei der Jungs, auffällig hübsche Erscheinungen, gaben als Einzige zu, den toten Olaf Westhofen gekannt zu haben, bestritten aber entschieden, etwas mit seinem Tod zu tun zu haben. Immerhin erklärten sie sich bereit, mit aufs Revier zu kommen, um eine Aussage zu machen. „Dank Euch ist hier die nächste Zeit eh tote Hose“, hauchte Jean, der größere der beiden, mit halb geschlossenen Augen.
In seinem Büro ließ Theobald Wagner den beiden filigranen Männern einen Kaffee bringen. Jean und Chérie, wie sich die beiden nannten, berichteten in aller Ausführlichkeit über die sexuellen Vorlieben von Olaf Westhofen. Sie hatten sich stets zu dritt getroffen. Niemals in seiner Villa. Der nächtliche Treffpunkt war vielmehr eine luxuriöse Wohnung am Rande der Oststadt, nur zehn Minuten Fußweg von Westhofens Modetempel entfernt. Jean und Chérie erzählten, dass sie meist bis zum frühen Mittag des nächsten Tages dort blieben, wohingegen Westhofen im Morgengrauen verschwand. „Er war eben ein Workaholic. Wie Richard Gere in Pretty Woman!“, schwärmte Chérie.
Angesichts dieses Vergleichs fiel es Wagner furchtbar schwer, sein Amüsement zu verbergen. Doch die beiden Stricher waren viel zu sehr mit ihrer Geschichte beschäftigt, um Hauptkommissar Wagners zuckende Mundwinkel zu bemerken. Laut Jeans Ausführungen schlossen die beiden stets die Wohnungstür ab und warfen den Schlüssel anschließend im Foyer in den Briefkasten, wenn sie das Haus wieder verließen. Wehmütig erinnerten sie sich an Champagner und Austern oder Entenleberpastete. Olaf Westhofen hatte stets das Doppelte des verlangten Preises bezahlt. Klar, dachte Wagner, nur zufriedene Stricher sind schweigsame Stricher. Jean und Chérie verdrückten die eine oder andere Träne während des Gesprächs. Die beiden hatten den Toten offensichtlich zu sehr geschätzt, um ihn zu ermorden. Obendrein stellte sich die Frage, warum sie sich selbst diesen großzügigen Geldhahn hätten zudrehen sollen. Hauptkommissar Wagner ahnte, dass in dieser
ménage à trois
eine verschwiegene Loyalität geherrscht hatte, die vermutlich über bezahlten Sex hinausreichte. Hier war auf eine merkwürdige Art aufrichtige Sympathie im Spiel.
Menzel streckte den Kopf zur Tür rein: „Theo, kommst du mal?“ Er ließ die beiden jungen Männer allein. „Also, die Wohnung, von der die Jungs berichten, gehört der Firma Westhofen und wird Geschäftspartnern bei längeren Aufenthalten zur Verfügung gestellt. Das Alibi der beiden zur Tatzeit könnte zudem kaum besser sein. Sie waren tatsächlich auf einer Party eingeladen und heizten die Stimmung als Go-Go-Tänzer bis kurz vor sechs Uhr früh mächtig an.“ Menzel machte ein betretenes Gesicht. „Selbst, wenn sie kein Alibi gehabt hätten“, konterte Wagner müde, „sie waren es nicht. Es gibt kein greifbares Motiv. Lass‘ sie gehen. Wieder eine Nacht für den Arsch. Geh nach Hause. Wir sehen uns dann später.“
Es war bereits halb sechs, als Theobald Wagner müde auf sein Bett fiel. Er hatte nicht einmal mehr Lust auf einen Scotch.
Um halb neun ertönte ohne Erbarmen der Radiowecker. „Sieh mir noch einmal in die Augen Baby, bevor du gehst…“ Xavier Naidoos Stimme weckte Wagner unsanft aus einem unruhigen Schlaf. Er rieb sich die Augen und versuchte, die Bilder seines Schlafes loszuwerden. Im Traum hatten sein Chef und Olaf Westhofen Bruderschaft getrunken. Lachend stießen sie in der Eingangshalle der Villa Westhofen mit überdimensionalen Cognacschwenkern auf das Ende von Wagners Karriere bei der Mordkommission an. Jean und Chérie tanzten auf dem blanken schwarzen Granitboden nackt in Federboas gehüllt zu Technobeats. Wagner sah sich untätig in dieser Szene stehen - wie ein Statist. Er hatte nicht viel übrig für Traumdeutung, aber dieser hier war schon sehr bizarr gewesen. Während er sich duschte und umzog konnte Wagner nicht aufhören, an diese
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