Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
eingeschränkt. „Gu… Guten Morgen.“ „Sie sollten sich angewöhnen, deutlich zu sprechen, damit man Sie gleich beim ersten Mal versteht!“ Der junge Beamte schwieg und studierte offenbar gründlich die Beschaffenheit seiner Schuhe. „Wo ist die Leiche?“ „Oben, im Schlafzimmer.“ Gespräch beendet!
Den Respekt seiner Kollegen musste er sich erst wieder verdienen. Das ließen sie ihn alle mehr oder weniger deutlich spüren.
Trotz seines Zustandes erklomm er erstaunlich schnell eine der beiden gewaltigen Holztreppen. Auf der Galerie angekommen, begutachtete er den Raum, der nun unter ihm lag, genauer. Der Eingangsbereich dieses Domizils war atemberaubend. Holzvertäfelte Wände, die ein hübsches Loch in den Mahagonibestand des brasilianischen Regenwaldes geschlagen haben dürften, daran eine Sammlung uralter Porträts in Öl. Von allen Seiten her beäugten Wagner streng dreinblickende Herrschaften. An den Frisuren, der Art wie die Bärte getrimmt waren, und natürlich an der Kleidung, konnte man leicht die Epochenzugehörigkeit jedes einzelnen dieser Ölschinken erraten. Was für eine imposante Ahnengalerie. Flüchtig kam Wagner sein eigenes Domizil in den Sinn, er hatte nicht einmal Fotos seiner engeren Familie in der Wohnung. Überhaupt gab es dort nur wenige Bilder, von Gemälden ganz zu schweigen. Nicht, dass seine Einrichtung ihm gleichgültig wäre, es war schlicht der Mangel an Zeit, der seine Wohnung recht karg erscheinen ließ.
Als Theobald Wagner sich über das Holzgeländer beugte, blickte er auf den polierten schwarzen Granit in der Eingangshalle. In diesem Bodenbelag spiegelte man sich so deutlich wie in einem Spiegel. Genau im Zentrum des Entrees stand ein antiker Tisch mit einem riesigen Blumenbouquet. Weiße Vorhänge an den großen Fenstern über und neben der Eingangstür sorgten für einen sanften Lichteinfall. Würde Scarlett O´ Hara an ihm vorbei die Treppe hinunterrauschen, es würde Wagner nicht im Mindesten erstaunen. Und das lag nicht an seinem erbärmlichen Zustand. Diese Villa hatte das mondäne Flair jener Herrschaftshäuser, wie man sie aus dem Film „Vom Winde verweht“ kennt. Er interessierte sich nicht wirklich dafür, aber Heerscharen von Frauen - Mütter, Schwestern, Freundinnen - hatten ihn im Laufe seiner Entwicklung immer wieder gezwungen, dieses Epos mit anzusehen.
Theobald Wagner folgte dem Klang bekannter Stimmen, bis er am Ende eines langen Ganges schließlich das Schlafzimmer fand. Dort war es vorbei mit der Filmromantik. Die Kollegen hoben ihre Köpfe, die Konversation stockte. Manche nickten beinahe unmerklich zum Gruß, andere starrten ihn unverhohlen an. Wahrscheinlich fragten sie sich, ob er in seinem Zustand tatsächlich Auto gefahren war. Theobald Wagner versuchte, seine Schamesröte in Grenzen zu halten und bemühte sich, die abfälligen Blicke einfach zu ignorieren.
Er wandte sich dem toten Körper zu, der vor dem schweren Holzbett auf dem cremefarbenen Teppich lag. Ein Dolch ragte aus seiner Brust, die Augen des Mannes waren weit aufgerissen. Olaf Westhofen, der Erbe eines Kaufhauses für luxuriöse Textilien, war zu Lebzeiten ein attraktiver Mann gewesen. Von seiner Würde war nun jedoch nicht mehr viel übrig. Er war nackt, durchbohrt und… dilettantisch tätowiert? Hauptkommissar Wagner kniete sich neben das Opfer und zog sich die Gummihandschuhe über. Bei näherer Betrachtung fiel ihm auf, dass es sich nicht um eine Tätowierung handelte, sondern um das Bildnis eines Drachen, das mit Filzstift sorgfältig auf die linke Schulter und die Brust des Opfers aufgemalt war. Das musste Stunden gedauert haben. Wagner war beeindruckt von der Plastizität dieses detailgetreuen Gemäldes, doch irgendetwas störte das Bild. Trotz seiner pochenden Schläfen beugte er sich tiefer über die Brust des Toten.
„Was sind das für merkwürdige… Erdklumpen und… Schleimspuren?“ Wagner sah nicht auf. Eine Stimme aus der Menge antwortete knapp: „Hier war alles voller Regenwürmer. Teils schon ziemlich eingetrocknet. Wir vermuten, dass der Mörder sie über Herrn Westhofen ausgeleert hat. Es waren ziemlich viele. Ein paar haben wir im Zimmer verstreut gefunden, aber die meisten waren auf und um die Leiche verteilt. Wir haben sie alle eingesammelt. Nehme ich zumindest an.“ „Regenwürmer?“
Es war vollkommen irrelevant, wie lange man schon bei der Mordkommission arbeitete, niemals würde man sagen können, man habe schon alles gesehen.
„Wir haben
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