Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Recorder auf die Rückbank und rammte das mysteriöse Tape ungeduldig in die dafür vorgesehene Öffnung. Was Wagner nun zu hören bekam, verwirrte ihn noch mehr. Die amateurhafte Aufnahme eines Klavierkonzertes, das trotz der miesen Qualität des Bandes sanft und melodisch klang. Mit pochenden Schläfen und rasendem Herz fuhr Wagner durch die Straßen zu Elles Wohnung. Alle Zeichen standen auf Sturm. Der Klang dieser Musik verstärkte das ohnehin schon drängende Gefühl, dass Elle etwas zugestoßen war. In der Sophienstraße angekommen, klingelte Hauptkommissar Wagner ohne zu zögern Sturm, wie er es in seiner Kindheit gern getan hatte. Elle öffnete nicht. Gerade wollte er systematisch alle Knöpfe durchprobieren, als eine Frau aus der Tür trat. „Wo wollen Sie denn so eilig hin, junger Mann?“ Die Dame war etwa in Elles Alter. „Ich muss unbedingt mit Elle, ähm... ich meine mit Frau Winkler sprechen. Wissen Sie vielleicht, wo sie sein könnte?“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Sind Sie Theo?“ Verdutzt sah Wagner sie an. „Ja, aber wie...?“ Die Dame lächelte wissend. „Elle und ich sind seit Ewigkeiten befreundet, junger Mann! Sie wurden mir in allen Einzelheiten beschrieben. Und wenn ich das sagen darf... Sie hat nicht übertrieben!“ Anerkennend musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. „Wir erzählen uns eben alles. Elle kann sie gut leiden, junger Mann. Wir treffen uns regelmäßig zum Kaffeetrinken. Heute hat sie mich aber versetzt. Ist eigentlich eher untypisch für sie! Den Grund erzählt sie mir sicher noch. Wagner fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
‚Er hat sie! Oh, meine Gott! Er hat Elle! Denk nach, Theo!‘
Überrascht von dem immensen Schmerz der Vorstellung, Elle könnte etwas zugestoßen sein, war er kaum zu einem vernünftigen Gedanken fähig.
Die Augen der kleinen Dame durchbohrten ihn. „Ich habe einen Schlüssel zu ihrer Wohnung. Für alle Fälle. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen, junger Mann. „Sollen wir nachsehen?“ Ist Elle etwas zugestoßen? ‚Vielleicht liegt sie tot in ihrer Wohnung‘, dachte Wagner unwillkürlich. „Nein, nein. Es ist wohl meine Schuld, dass Elle Sie versetzt hat. Wir haben letzte Nacht sehr lange über Richard Wagner diskutiert. Sie hat sicher nur verschlafen. Ich wollte heute ihre Meinung zu diesem Schriftstück hier hören, das ich gestern Abend bedauerlicherweise nicht dabei hatte.“ Wagner zog blitzschnell einen Umschlag der Stadtwerke aus seiner Jackeninnentasche und wedelte kurz damit herum.
Vermutlich enthielt der Umschlag die neueste Stromerhöhung, die, wie immer pünktlich zum Wochenende, zusammen mit der mysteriösen Kassette in seinem Briefkasten gelegen hatte. Schnell verbarg er den Umschlag wieder vor den neugierigen Augen in seiner Tasche. „Ja dann... Viel Glück, junger Mann! Und richten Sie Elle aus, dass sie sich eine hübsche Wiedergutmachung einfallen lassen soll!“ Mit diesen Worten nahm sie ihren unterbrochenen Weg in Richtung Stadtzentrum wieder auf. „Das wird sie“, faselte Wagner leise vor sich hin. Als die Tür ins Schloss gefallen war, stürmte er wie besessen die Treppen hinauf. Einen Moment lang hatte er darüber nachgedacht, die alte Dame um den Schlüssel zu bitten, war dann aber schnell wieder davon abgekommen. Er wusste selbstverständlich wie man verschlossene Türen öffnete, und die Nachbarin im Schlepptau konnte er jetzt wahrlich nicht gebrauchen. Klack! Das Schloss war offen.
„Lieber Gott, lass sie am Leben sein.“ Wagner schickte ein Stoßgebet gen Himmel, als er bereits im Flur der Wohnung stand. „Elle? Sind Sie da?“ Stille. Er lief durch die Küche, öffnete das Badezimmer. Keine Spur von Elle. Auch im Wohnzimmer mit der angeschlossenen Bibliothek und im Esszimmer war keine Spur von ihr. Sein Herz klopfte schon wieder bis zum Hals, als er ungeniert die Schlafzimmertür aufriss. Leise spielte der Radiowecker das Sonntagsprogramm ab. Das Bett war unberührt.
Panik machte sich in Theobald Wagner breit. Er musste die genaue Bedeutung von Erda im Ring des Nibelungen erfahren. Nur so konnte er herausfinden, welche Bedeutung der Killer Elle beimaß. Wenn sie mit Erda gleichzusetzen war, musste Albert Müller etwas Besonderes mit ihr vorhaben, andernfalls hätte er sie in ihrer Wohnung töten können, so wie alle anderen Opfer auch. Die Antwort lag im Ring.
In Elsbeth Winklers Bibliothek hoffte er fündig zu werden. Aus dem Augenwinkel sah Wagner die Lichter der Stereoanlage hinter den
Weitere Kostenlose Bücher