Der Ring von Ikribu
kaum noch zu sehen. Das Leuchten von Ikribus Ring verbarg sie fast.
Ein dritter Akoluth wurde von den Füßen gerissen. Ein Fensterladen schwang auf, und der Mann schoss durchs Fenster. Seine Schreie verloren sich in der Tiefe. Aber die Stygier achteten auf derlei Ablenkung nicht. Noch lauter hallte ihre Beschwörung, und sie konzentrierten sich voll auf den Hexer.
Der Priester mit dem Ring Ikribus trat auf die unterste Podeststufe. Seine Brüder ringsum folgten seinem Beispiel. Asroth zischte und wand sich, seine Hände krallten durch die leere Luft, seine Beine zuckten. Die Stygier traten auf die nächste Stufe. Nun konnte Sonja Asroth überhaupt nicht mehr sehen. Die dunklen Gewänder der Priester und das Leuchten des Ringes verbargen ihn völlig.
Da stieg eine Rauchsäule mitten im Schein des Ringes auf. Asroths Zischen wurde zum Wimmern, zum Kreischen, zum Heulen. Sonja erstarrte. Das waren nicht die Schreie Sterbender, wie sie sie nur zu oft auf den Schlachtfeldern gehört hatte, sondern das letzte verzweifelte Kreischen einer Seele, die zu ewigen Qualen in der Hölle verdammt war. Grauer Staub wallte in Wolken zwischen den Akoluthen und schwebte auf die Podeststufen hinunter – Staub wie von windgepeitschten vertrockneten Pflanzen an einem Herbsttag – trockener Staub eines vor undenklicher Zeit verwesten Menschen.
Leben um Leben …
Ein abscheulicher Gestank drang in Sonjas Nase. Sie drückte die Hand auf Mund und Nase. Die Worte der Akoluthen hallten nun donnernd im Gemach und wurden doch übertönt von einem plötzlichen, unmenschlichen Schrei …
Er kam von Asroth, dessen endgültiger Tod nicht mehr aufzuhalten war.
Nun presste Sonja die Hände auf die Ohren. Weiterer Staub schwebte ringsum auf die Stufen des Thronpodests herab. Asroths Schrei erstarb. Sonja nahm die Hände von den Ohren. Die Stygier hatten ihre Beschwörung beendet. Das Leuchten des Ringes ließ nach und wurde wieder zum schillernden Schimmern, und die Dämmernis des nur schwach mit Fackeln beleuchteten Gemachs kehrte zurück.
Erschöpft wandten die Stygier sich vom Thron ab. Sie taumelten und rieben sich die Augen. Nun sah Sonja, was auf dem Thron von dem Hexer zurückgeblieben war: eine halbverkohlte, braune Mumie. Von seinem Gewand waren ein paar verkohlte Fetzen geblieben. Aus den Augenhöhlen des Totenschädels rieselte Staub und weiterer Staub über die Seiten des Thrones von Asroths Fleisch.
Die Stygier sackten zusammen, rangen um Luft. Einige lagen flach auf ihrem Rücken. Ein Soldat riss hastig alle Fenster auf, um Luft einzulassen. Sonja atmete sie in gierigen Zügen ein. Sie war rein und frisch vom überstandenen Gewitter. Da war ein Klappern zu hören. Durch die eindringende Luft zerfiel Asroths Skelett. Einige Knochen rollten über die Stufen, während der Schädel fast zwischen den Beckenknochen versank und zusehends zu Staub zerfiel. Die Arme lösten sich aus den Gelenken. Ein Bein fiel seitwärts und nahm das andere mit. Beide zerschmetterten auf dem Fliesenboden zu Pulver.
Sonja, deren Anspannung sich Luft machen musste, rannte zum Podest. Sie sprang die Stufen hoch, schwang ihr Schwert und ließ es hinabsausen. Was vom Totenschädel übrig geblieben war, zerfiel zu Pulver. Immer wieder schlug sie zu, bis von den Knochen nicht einmal Umrisse blieben und nur noch kleine Häufchen brauner Staub auf Thron und Podest herumlagen.
Als sie so ihrer Anspannung Luft gemacht hatte, kam ein Akoluth heran. Er holte ein kleines Fläschchen aus seinem Gewand, öffnete es und sprühte eine dunkle Flüssigkeit auf Asroths Staub. Winzige orange und grüne Flämmchen züngelten flüchtig hoch und erloschen. Ein beißender Gestank stieg auf.
»Der letzte Weg zur Wiederkehr ist verschlossen«, sagte der Stygier. »Nun kann Asroth nie mehr zurückkommen. Kein Stäubchen seines körperlichen Wesens ist geblieben, und Ikribu hat seine Seele als Opfer aufgenommen.«
»Was ist mit dem Ring?« erkundigte sich Sonja.
»Wir werden ihn behalten und einen sicheren Aufbewahrungsort für ihn finden. Wir werden ihn mit Zauber solcher Kraft umgeben, dass kein Hexer ihn je wieder aufspüren und benutzen kann.«
»Nein!« schrie Sonja. »Er ist von unendlichem Übel und sollte völlig vernichtet werden. Wie viele Menschen hat er in Wahnsinn und Verhängnis gerissen? Wenn er weiter bestehen darf, wie viel mehr Leid wird er über die Menschen bringen, um Ikribus Appetit zu stillen?«
Der Stygier seufzte – aus Bedauern? – und
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