Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
Vom Netzwerk:
spürte einen Anflug von Scham, der aber bald verging. »Also, Bruder kommt zurück und sagt, Gueran, du musst auch Test machen. Du musst mitkommen zu Community. Ich sage, nein, danke, und weißt du eigentlich, dass dich deine Frau vermisst? Und er, ich habe jetzt Milliarde Frauen. Und ich, ja, aber deine Frau hier unten, die vermisst dich.« Gueran lehnte sich zurück und schloss die Augen. »So war das mit Community. Leute haben gesehen, wie einfach Leben in Community ist, wie hart hier unten. Und haben aufgegeben, haben sich einklinken lassen. So war das. Und davor, danach? Kein großer Unterschied.« Sein rechtes Auge öffnete sich einen Schlitz. »Aber wenn ihr so neugierig seid, zeige ich euch morgen echte Enklavenstadt.«
    In dieser Nacht tuckerten wir nicht wie bisher am Nordufer entlang, sondern am südlichen Ufer. Bei der Überfahrt fühlten wir uns wie auf einem See, so breit und träge wälzte sich der Amazonas dahin. Als die Sonne aufging, suchten wir uns keinen ruhigen, überwachsenen Nebenfluss, um bis zur Dämmerung abzuwarten, sondern schoben uns weiter durch den Morgennebel. Gueran hatte es offenbar eilig.
    Bald passierten wir alle paar Kilometer vereinzelte Fischer- oder Hausboote. Jedes Mal winkten uns die Leute zu, und Gueran winkte zurück. Einmal rief er zu einem Mann und einem Jungen hinüber, die auf ihrem Hausboot in der Strömung angelten, und fragte sie nach Benzin. Und tatsächlich, im Tausch gegen zwei Flussschildkröten, die er am Abend gefangen hatte, bekam er zwanzig Liter. Der Kleine starrte uns an, als hätte er noch nie ein Quintett zu Gesicht bekommen.
    Langsam belebte sich der Fluss. Als uns immer mehr Fischer begegneten, zog Gueran fünf halbvermoderte Ponchos unter dem Sitz hervor und reichte sie herum. »Stinkdrüsen verdecken«, sagte er, während er sich an Handgelenk und Hals fasste.
    Widerwillig nahmen wir die Ponchos entgegen und zogen sie über den Kopf. Unsere Drüsen und Pads waren nicht mehr zu sehen, wir waren nicht mehr auf den ersten Blick als Pod zu erkennen – aber jetzt würden sich die Leute fragen, warum wir bei der drückenden Hitze Regencapes trugen.
    »Und nicht dauernd Händchen halten«, fügte Gueran hinzu. »Sieht schwul aus.«
    Am Ufer zogen Barackensiedlungen vorbei, reihenweise Wellblechhütten, auf jedem Hügel und manchmal sogar in den Tälern, wo sie in der Regenzeit mit Sicherheit überflutet wurden. Dazwischen tummelten sich Tausende von Menschen, mehr als wir jemals auf einem Fleck gesehen hatten. Instinktiv nahm ich Stroms Hand; ich konnte nicht anders.
    Das sind arme Leute.
    Und viele Leute, sehr viele.
    Trotz Guerans Warnung flüchteten wir uns in den Konsens. Noch lag das Wasser zwischen uns und den Menschenmassen, und trotzdem bekamen wir schon jetzt Platzangst.
    »Nicht Händchen halten«, sagte Gueran. »Sonst sehen Leute, dass ihr Pod seid. Nicht gut.«
    Meine Hand zuckte zurück, und ich drehte mich zum anderen Ufer, weg von den vielen Menschen.
    Ein paar Minuten später steuerte Gueran auf einen Anlegesteg zu, wo er einem mürrischen Jungen ein bisschen OG-Scrip hinhielt, damit er unser Boot vertäute. »Gehen wir. Will mal was anderes essen als Fisch und Mango.«
    Flache Stufen führten vom Hafen zur eigentlichen Stadt, die sich auf einer breiten Anhöhe über dem Fluss angesiedelt hatte. Über den Dächern der schäbigen Wellblechhütten türmten sich einförmige Fertigbauten auf, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude mit einem eingezäunten Aircar-Landeplatz. Stille lag über den leeren Straßen und Gassen, gerade öffneten die ersten Geschäfte ihre Türen.
    »Bolivopolis«, murmelte Gueran. »Haben sie einfach mitten in Dschungel gebaut und alle Leute hergebracht. Mich wollten sie auch holen, aber keine Chance. Schlechtes Feng-Shui.«
    Trotzdem schien er sich bestens auszukennen, da er uns zielstrebig durch die engen Straßen zu einer kleinen Gaststätte führte. Im Gegensatz zu den Armensiedlungen weiter draußen wirkten die Büros und Geschäfte im Stadtkern wie auf dem Reißbrett geplant. Nur dieses Lokal war nicht im üblichen Grau gehalten, sondern knallrot gestrichen. Von der erhöhten Terrasse aus, auf der einige Tische und Stühle standen, hatte man einen guten Blick in alle Richtungen.
    »Hier essen.«
    Nachdem wir uns einen Tisch auf der Terrasse gesucht hatten, bestellte Gueran sich gleich zwei Bier, während wir uns mit Saft begnügten.
    Kurz darauf brachte eine junge, hellhäutige Singleton-Frau die Getränke.

Weitere Kostenlose Bücher