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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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eingezäunten Spielplatz mit riesigen Eichen drum herum. Trotzdem wohnten hier nur zwei Grüppchen von Kindern, eine Vierer- und eine Fünfergruppe. Die Vierergruppe war viel netter als die andere, die immer unter sich blieb und nie mit den anderen sprach. Ständig saßen sie zu fünft im Kreis herum, hielten Händchen und grinsten sich dabei selbstzufrieden an.
    »Die gehen bald ins Zweite Stadium«, sagte Meda, ein Mädchen aus der Vierergruppe. »Die halten sich für was Besseres.«
    Meda gehörte nicht nur zu dem Quartett, sondern hatte auch noch eine Zwillingsschwester, genau wie Corrine Manuels Zwillingsschwester war. Aber Meda und Moira waren sogar eineiige Zwillinge, während sich Manuel und Corrine nur ziemlich ähnlich sahen.
    Der Abschied von Gorton war ihnen nicht leichtgefallen, aber jetzt, wo sie neue Freunde gefunden hatten, fanden sie es in Blue Haven viel schöner. Außerdem war die Erzieherin, Matron Redd, sehr lieb.
    Schon am ersten Tag zeigten Manuel und Corrine den anderen, wie sie sich kopfüber an den Zehen von der Decke baumeln lassen konnten. Im Gegenzug führte Strom vor, wie stark er war, und Quant sagte Pi bis zur einhundertsten Stelle nach dem Komma auf, während Meda und Moira über die ganze Vorstellung lachten. Am Abend gingen sie zu sechst im selben Zimmer schlafen. Das fühlte sich gut an, als wäre es nie anders gewesen, und am nächsten Morgen hatten sie Gorton schon fast vergessen. Bald waren die sechs unzertrennlich.
    Einmal, als sie in der Bibliothek saßen und sich mit Computerspielen vergnügten, hörte Manuel Meda sagen: Machen wir doch mal ein Puzzle. Dabei hatten sich ihre Lippen gar nicht bewegt.
    »Okay«, antwortete Moira laut.
    Seitdem passierte es immer öfter, es war genau wie mit Corrine. Auch in Gorton hatte er manchmal die Stimmen der anderen Kinder im Kopf gehabt, aber das war immer ein unerträgliches Geplapper gewesen, das er am liebsten sofort abgestellt hätte. Bei diesen vier war es anders – es gefiel ihm. Es funktionierte auch andersherum, und beim Schlafen träumten sie oft gemeinsam.
    Dr. Yoder kümmerte sich immer noch um sie, aber jetzt hatten sie auch noch einen anderen Arzt: Jeden zweiten Tag kam Dr. Khalid vorbei, ein Quartett, das alle elf Kinder in der Krippe untersuchte. Er redete nicht viel, und es durften immer nur drei auf einmal zu ihm ins Zimmer. Mit Dr. Yoder schien er sich nicht besonders gut zu verstehen, denn einmal hörten sie die beiden auf dem Parkplatz streiten. Manuel, Corrine und ihre Freunde waren hinten auf dem Spielplatz, als sich die anfangs unhörbare Unterhaltung zu einem wüsten Geschrei steigerte. Drei von Yoder und zwei von Khalid brüllten sich an.
    »Was haben die denn?«, fragte Meda, stellte sich auf die Zehenspitzen und hüpfte auf und ab. Sofort machte Strom ihr eine Räuberleiter, damit sie über den Lattenzaun gucken konnte, während Manuel schon längst raufgeklettert war. Gemeinsam beobachteten sie die keifenden Ärzte, ohne viel zu verstehen. »Ich kann sie nicht richtig hören«, berichtete Meda nach unten, »aber es geht ziemlich zur Sache.«
    Währenddessen richtete sich Manuel auf und spazierte auf der schmalen Oberkante des Zauns entlang, als hätte er festen Boden unter den Füßen. Eine der Eichen, die auf dem Hof wuchsen, streckte sich praktischerweise bis über die Ecke des Sandkastens, in dem die Kinder immer Ökokatastrophe spielten. Manuel klammerte sich an einen besonders dicken Ast, dicker als sein eigener Oberkörper, und hangelte sich hinauf in die Krone.
    »Vorsicht«, sagte Corrine, aber er winkte lässig ab.
    Am Stamm zog er sich die Schuhe aus und klemmte sie in eine Astgabel. Seine Zehen suchten instinktiv Halt, als sie die zerfurchte Rinde berührten. In einer flüssigen Bewegung kletterte er weiter hoch und auf die andere Seite des Baums zu einem Ast über dem Parkplatz. Vorsichtig robbte er nach vorne, bis er direkt über Dr. Khalids Interface hing, und hielt ganz still. Zwischen den Blättern und Eicheln war er praktisch unsichtbar.
    »Es gibt keine funktionsfähigen Sechser!«, rief Khalid. »Damit würden wir das gesamte Programm gefährden. Ein Quintett ist optimal, das sagen meine Quellen, und daran werden wir uns halten!«
    Yoder schüttelte den Kopf. »Aber das sind Zwillinge, Abdel, zwei Zwillingspaare! Das hat noch keiner probiert.«
    »Dann wird sich eben ein Einzelner abspalten! Und wen sollen wir opfern? Das Risiko ist viel zu groß!«
    Ein anderer von Yoder mischte sich ein.

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