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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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»Das Tagesgericht?«
    »Ja«, antwortete Gueran. »Sechsmal.«
    »Was ist das Tagesgericht?«, wollte ich wissen.
    »Das Einzige, was sie haben.«
    Die Kellnerin kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem sechs Teller mit roten Bohnen und Reis standen. Als sie mich bediente, zögerte sie – ihre Augen waren an den Pads an meinen Handgelenken hängengeblieben. »Ihr seid Schwarm. Was macht ihr hier?«
    Sofort war Gueran auf den Beinen, nahm die Kellnerin am Arm und führte sie ein Stück zur Seite. »Keine Sorge, Schätzchen.« Wir sahen, wie er ihr etwas OG-Scrip zuschob, während sie mich immer weiter anstarrte. Erst ein paar Sekunden später wandte sie den Blick ab, nickte Gueran kurz zu und verschwand in der Küche.
    Kopfschüttelnd kehrte Gueran zurück. »Ich hab doch gesagt, ihr sollt Stinkdrüsen verdecken!«
    »So einfach ist das nicht«, erwiderte Meda. »Vielleicht sollten wir besser gehen.«
    Gueran winkte ab. »Bald, bald. Erst will ich euch was zeigen.« Daraufhin schaufelte er sich Bohnen und Reis in den Mund und spülte den Brei mit dem zweiten Bier herunter.
    Ich spürte eine Bewegung unter dem Tisch – Strom, der mich am Handgelenk berührte. Pods!
    Als ich aufblickte, schmeckte auch ich die Konsenspheromone in der feuchten Luft. Ja, es roch nach Pods. Ich atmete tiefer ein. Es roch nicht nur nach Pods, sondern nach Panik. Vetopheromone flirrten umher, neben unzähligen anderen, weniger zentralen Botenstoffen. Ein beängstigendes Chaos.
    Ich wollte aufstehen, aber Gueran hielt mich zurück. »Moment noch.«
    Ein Dutzend Leute kam die Straße hinuntergelaufen, alle in rote Overalls gekleidet und von drei Männern in Weiß in Schach gehalten. Letztere schienen Singletons zu sein, Singletons mit langen, dünnen Ruten in der Hand. Erst hielt ich die rot Gekleideten für Pods – bis ich begriff, was sie wirklich waren: zerfallene Pods, zerfallene Pods unter der Aufsicht von Singletons.
    »Was sind das für Menschen?«, fragte Meda.
    »Menschen wie ihr«, brummte Gueran. »Haben Tausende davon in Krankenhäusern.«
    Je näher sie kamen, desto mehr zusammenhanglose Gedanken stürmten auf mich ein. Schnell zog ich die Schultern hoch und ließ die Ärmel des Ponchos über meine Pads rutschen. Diese Pods waren wahrscheinlich im Ersten Stadium gescheitert, ihre Bindung war fehlgeschlagen, vielleicht hatten sie überhaupt keine Partner gefunden. Sie hatten sich nicht unter Kontrolle, ihr Denken war Wahnsinn. Ich ertrug ihren Anblick nicht.
    Um nicht nach meinen Podpartnern zu fassen, schob ich die Hände tief unter die Oberschenkel. Jede Faser meines Körpers sehnte sich danach, mich in den Konsens fallenzulassen, um gemeinsam zu verstehen, was wir hier sahen. Aber ich durfte nicht, ich durfte uns nicht enttarnen. Diese Stadt war kein gutes Pflaster für Pods.
    Gedanken drangen auf mich ein, selbst durch das aufgebauschte Plastik des Ponchos, konzentrierte Gedanken, die Gedanken einer von ihnen, einer von sich selbst – die Gedanken einer Frau im roten Overall, die uns von der Straße aus fixierte. Das durfte, das konnte nicht sein. Als ich aufschaute, sah ich, dass Quant am ganzen Körper zitterte, mit zusammengekniffenen Augen und hochrotem Gesicht. Strom fasste ihre Hand, ich fasste Stroms Hand, und wir zuckten zurück, geblendet von gleißendem Licht.
    In unserem Geist erschienen die gescheiterten Podmitglieder als einzelne, isolierte, separate Punkte gebündelter Gedanken und Gefühle – doch in dieser einen Sekunde, die ich durch Quants Augen blickte, sah ich sie als Koordinaten in einem riesigen Geflecht, dessen Mittelpunkt wir, Apollo Papadopulos, bildeten.
    Ich kippte nach vorne und knallte mit dem Gesicht auf die Tischkante. Alles wurde schwarz.
     
    Mit vier Jahren kamen Manuel und Corrine in die Krippe von Blue Haven.
    Bis dahin bestand ihre Welt nur aus ihnen beiden und aus der Gorton-Krippe, einem überfüllten Heim mit Hunderten von Kindern unter der Aufsicht strenger Erzieherinnenpods. Und die Erzieherinnen bedrängten sie andauernd – sie sollten mit den anderen Kindern spielen, sie sollten sich Freunde suchen, sie sollten mit den anderen im Bindungszimmer schlafen. Doch Manuel und Corrine weigerten sich hartnäckig, und wenn sie sich doch einmal überwanden, dann nur für kurze Zeit. Bald saßen sie doch wieder zu zweit in einer Ecke oder unter der Treppe zum zweiten Stock.
    »Das wird ein Duo«, erklärte eine der Erzieherinnen, Matron Reddinger, irgendwann, während sie weiße

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