Der Ripper - Roman
Mut.
Ich schlug die Decke beiseite und setzte mich auf.
»Was tust du da?«, flüsterte Trudy.
»Pst.«
Als ich die Füße aufsetzte, schüttelte Trudy wild den Kopf.
»Bleib, wo du bist.«
»Er wird uns beide umbringen, wenn ich ihn nicht töte.«
»Du kannst ihn nicht töten.«
»Bevor er richtig wach ist, habe ich ihm schon die Kehle mit dem eigenen Messer durchgeschnitten.«
»Wenn du deine Koje verlässt, schreie ich.«
»Was zum Teufel soll das?«
»Sieh doch, was du mir durch deine Dummheit bereits angetan hast. Schließlich hat er nicht dich aufgehängt und ausgepeitscht. Bleib bloß liegen. Ich schwöre beim Allmächtigen, ich schreie, wenn du es nicht tust.«
Nun, ich gehorchte und zog die Decke wieder über mich. »Hätten Sie mich nicht dazu gebracht, Sie wieder zu fesseln«, murmelte ich, »hätten wir ihn gehabt. Dann wäre jetzt alles vorbei. Er hätte Ihnen nicht wehgetan. Wir würden nach London zurücksegeln.«
»Sei still und schlaf.«
»Schon gut, ich bin ja ruhig.«
»Mach die Augen zu. Ich habe die Nase voll davon, dass du mich dauernd anstarrst.«
»Ich passe nur auf Sie auf.«
»Ich weiß genau, was du da tust. Du bist widerwärtig. Hör endlich auf damit und dreh den Kopf zur Seite.«
»Nein, Ma’am. Es tut mir leid. Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie von vorn sehe, können Sie sich ja umdrehen.« Ich fragte mich, warum sie nicht von selbst auf den Gedanken gekommen war.
»Wenn du es unbedingt wissen musst, ich muss die Lampe sehen.« Die befand sich neben der Tür. »Sie hilft mir, das Gleichgewicht zu bewahren.«
»Nun, dann bleiben Sie so stehen. Sie können versichert sein, dass ich kein Vergnügen aus dem Anblick ziehe.«
»Garstiger Kerl«, murmelte sie und verstummte dann.
Ich behielt Trudy weiterhin im Auge. Sie blieb in Bewegung. Sie schien genau zu wissen, in welche Richtung der Boden als Nächstes kippen würde, und wechselte vorher den Standort. Aber so gut sie darin auch war, ich bezweifelte
doch, dass sie es die ganze Nacht durchhalten würde.
Da tauchte das Schiff plötzlich in ein tiefes Wellental und riss Trudy von den Füßen. Sie fiel nach hinten, bis die Schlinge sie aufhielt. Sie riss die gefesselten Hände hoch und klammerte sich am Seil fest, während ihre Fersen über den Boden schleiften. Sie hatte es beinahe geschafft, wieder aufrecht zu stehen, als die nächste Welle ihr erneut den Boden unter den Füßen wegzog.
Whittle schnarchte weiter.
Vielleicht hätte ein Schrei ihn geweckt. Aber vermutlich hätte er Trudy einfach baumeln lassen.
Ich sprang auf. Mit den zusammengebundenen Füßen landete ich im Eintopf und rutschte aus. Doch das konnte mich nicht aufhalten. Schon einen Augenblick später kroch ich auf Händen und Knien zu Trudy, ohne klare Vorstellung, wie ich sie eigentlich retten wollte.
Zufällig stieß ich gegen Trudys umherstrampelnde Beine. Nachdem sie mir ein paar ordentliche Tritte verpasst hatte, brachte sie sich wieder unter Kontrolle und benutzte meine Schultern als Stütze. Ich kroch weiter nach vorn, den Kopf zwischen ihren Beinen, dann wieder ein Stück zurück, und Trudy stand aufrecht. Sie hustete und keuchte eine Zeit lang, aber ich wusste, dass ihr nicht länger die Luft abgeschnürt wurde.
Sie stand zitternd und keuchend da und drückte ihre Knie gegen meinen Kopf, bis ich dachte, gleich würde mir der Schädel platzen.
»Lassen Sie los«, flüsterte ich.
»Ich falle.« Ihre Stimme hatte einen weinerlichen, ängstlichen Klang.
Jemand lachte. Ich war es nicht. Trudy auch nicht.
»Whittle!«, stieß ich hervor. »Helfen Sie uns!«
»Das war eine prächtige Vorstellung. Ich sollte sie nicht unterbrechen.«
Hatte er etwa doch nicht geschlafen - war das Schnarchen eine Täuschung gewesen?
»Lassen Sie sie herunter, verdammt nochmal!«
»Bitte!«, schluchzte Trudy.
»Ihr beiden scheint auch ohne mich ganz gut zurechtzukommen. Weiter so.«
Ich verfluchte ihn, und Trudy flehte ihn weiterhin an. Whittle lachte, als würde er sich prächtig amüsieren. Aber schließlich muss er unserer Stimmen überdrüssig geworden sein, denn er sagte: »Hört jetzt mit dem Gejammer auf, oder ich könnte die Geduld verlieren.«
»Machen Sie sie sofort los!«, verlangte ich.
Ein lautes Klatschen ertönte. Trudy jaulte auf, zuckte zusammen und zerquetschte mir dabei beinahe den Kopf. Sie fing an zu schluchzen.
Danach verhielten wir uns beide still.
Wir verharrten in dieser Stellung. Da sowohl meine Hände als auch meine
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