Der Ripper - Roman
Füße gefesselt waren, hatte ich keinen besonders guten Halt. Trudys Knie an meinem Kopf verhinderten, dass ich umkippte, und ich verhinderte, dass sie nach vorn oder hinten stürzte. Ein seltsames Arrangement, das jedoch die meiste Zeit über funktionierte.
Gelegentlich warf uns der Seegang trotzdem um. Dann wurde Trudy die Luft abgeschnitten, bis ich wieder auf Händen und Knien hockte, meinen Kopf zwischen ihre Schenkel schob und sie auf diese Weise stützte.
Die Kälte ließ mich zittern. Genau wie die Muskelanspannung.
Aber nach einiger Zeit schienen die Schmerzen und die Kälte zu verschwinden. Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich stellte mir vor, ich sei zu Hause in meinem Bett. Ich hörte sogar Mutter, die in einem anderen Zimmer Geige spielte. Dann weiß ich nichts mehr.
Unvermittelt wachte ich auf und glaubte tatsächlich zu Hause zu sein, denn ich lag unter einer warmen Decke. Aber das Schiff schaukelte sanft. Ich schlug die Augen auf, sah Tageslicht und fühlte mich scheußlich. Ich hatte Trudy retten wollen, doch mein Mut musste mich im Stich gelassen haben, denn offensichtlich war ich in meine Koje gekrochen und hatte sie dort hängen lassen. Ich hatte sie verraten. Ich hatte sie getötet.
Ich konnte nicht hinsehen, ich wollte nicht sehen, wie die arme Trudy am Ende des Seils baumelte.
Dann bemerkte ich, dass ich nicht länger gefesselt war.
Überrascht wandte ich den Kopf. Trudy hing nicht an der Luke. Sie lag auf ihrer Koje, bis zum Kinn zugedeckt. Von den Schwellungen und den von Whittles Gürtel verursachten roten Striemen abgesehen, war ihr Gesicht leichenblass. Ihre Augen waren geschlossen.
Ich war so erleichtert, dass mir die Tränen kamen. Also hatte ich sie doch nicht sterben lassen. Und Whittle auch nicht. Irgendwann in der Nacht hatte er sie losgebunden und uns in unsere Kojen verfrachtet. Nicht, dass er Mitleid mit uns bekommen hatte. Derartige Empfindungen waren ihm fremd. Es passte einfach nicht in seine Pläne, uns zu töten, wo wir doch noch die Überfahrt vor uns hatten. Er war nicht in der Kajüte.
Auf dem Boden zwischen den beiden Kojen lagen Trudys Nachthemd und die Reste des Eintopfs - angetrocknete Soße und Fleischstücke, Kartoffeln und Gemüse.
Dieser Anblick ließ meinen Magen knurren.
Ich rollte mich aus der Koje. Meine Knie schmerzten schrecklich. Ich kratzte das Essen von den Planken und stopfte es mir in den Mund. Es war eiskalt, aber es schmeckte großartig.
Nach ein paar Mundvoll musste ich an Trudy denken.
Ich sammelte etwas Eintopf in der Hand und kroch zu ihr hin.
»Trudy«, flüsterte ich, ganz nahe vor ihrem Gesicht. »Trudy, wachen Sie auf.«
Sie kniff die Augen fester zusammen, als wollte sie nicht aufwachen. Dann verzog sie das Gesicht. Sie wimmerte leise.
»Whittle ist nicht da«, sagte ich.
Sie schlug die Augen auf und blinzelte mich an.
»Möchten Sie etwas essen?«, fragte ich und hob die Hand, so dass sie den kalten Eintopf sehen konnte.
»Wo ist er?«, fragte sie mit leiser, krächzender Stimme.
»Ich hoffe, er ist zum Teufel gegangen, aber vermutlich ist er nur in einem anderen Raum. Sind Sie noch gefesselt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann setzen Sie sich doch auf und essen.«
»Geh weg. Lass mich allein.«
Schon gab sie wieder Befehle. Aber es klang nicht sehr energisch.
Ich hielt ihr ein Stück Fleisch vor die Nase. Sie schloss den Mund und schüttelte den Kopf. Ich rieb ihr das Fleisch über die Lippen.
»Hör auf.«
Sie klang so mitleiderregend, dass ich gehorchte. Aber dann leckte sie sich über die Lippen, und der Geschmack
muss ihr zugesagt haben. Sie öffnete den Mund richtig. Ich schob den Brocken hinein. Sie kaute darauf herum und verzog das Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse, als sie versuchte, ihn herunterzuschlucken.
»Wenn Sie mehr möchten, sollten Sie sich vielleicht aufsetzen.«
Sie rollte sich auf die Seite, stemmte sich auf den Ellbogen und hielt sich mit dem anderen Arm die Decke vor die Brust. Sie war in einem beklagenswerten Zustand. Whittles Gürtel hatte wenig heile Haut übrig gelassen, auf der es keine purpurn verfärbten Schwellungen oder mit getrocknetem Blut verschmierten Abschürfungen gab. Die Schlinge hatte ihren Hals aufgeraut. Der breite Striemen nässte. Auch ihre Handgelenke waren wundgescheuert, aber bei weitem nicht so schlimm wie ihr Hals.
»Ich werde nicht zulassen, dass er Ihnen noch einmal wehtut«, sagte ich.
Sie kaute und schluckte. Dann sah sie mich an. In ihrem Blick
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