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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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mit den Fingern das Tischtuch glatt. Eine der Gleichungen darauf war auch nach der Wäsche nicht ganz ausgebleicht. Es war unmöglich, Herrn Murry abzugewöhnen, jede erreichbare Unterlage mit Zahlen und Symbolen vollzukritzeln. »Es ist nicht gerade ein Staatsgeheimnis«, sagte sie. »Vor kurzem stand darüber sogar einiges in der Zeitung.«
    »Worüber?«
    »Es wurde ein Phänomen beobachtet, für das es bislang keine Erklärung gibt. Nicht in unserer Milchstraße, sondern in einigen anderen, weit entfernten Galaxien … Ich kann es vielleicht am einfachsten so sagen: Unsere neuesten hyperempfindlichen Radioteleskope haben seltsame Geräuschspektren empfangen, die außerhalb der üblicherweise registrierten Frequenzbereiche liegen. Sie sind extrem kurzwellig; es handelt sich also gewissermaßen um sehr hohe Töne. Nach einer solchen Emission – die Times bezeichnete sie als »kosmischen Aufschrei« – hat nun, scheint es, der Weltraum einen – einen kleinen Riß bekommen.«
    »Was bedeutet das?« fragte Dennys.
    »Das bedeutet, daß einige Sterne verschwunden sind.«
    »Wohin sind sie verschwunden?«
    »Das ist ja gerade das Seltsame daran! Sie sind einfach fort. Soweit wir das mit unseren Mitteln feststellen können, befindet sich an Stelle dieser Sterne jetzt – nichts. Überhaupt nichts. Ihr erinnert euch vielleicht, daß Vater vor einigen Wochen nach Kalifornien mußte, zum Observatorium von Mount Palomar. Damals hatte man dieses Phänomen entdeckt.«
    »Aber ein Stern kann doch nicht einfach verschwinden«, wandte Sandy ein. »Das Gesetz vom Bestand der Materie lernt heute jedes Kind in der Schule.«
    »Es hat den Anschein, als wäre die Materie doch in ihrem Bestand gefährdet«, erwiderte Mutter leise.
    »Du meinst – wie unsere Umwelt?«
    »Nein. Ich meine, daß Materie offenbar tatsächlich ausgelöscht werden kann.«
    »Unmöglich!« widersprach Dennys mit Bestimmtheit.
    »Energie ist gleich Masse mal dem Quadrat der Beschleunigung«, zitierte Sandy. »Materie kann in Energie umgewandelt werden und Energie in Materie. Entweder das eine oder das andere.«
    »Das Einsteinsche Gesetz wurde bisher noch nicht widerlegt«, räumte Frau Murry ein. »Aber nun wird man seine Gültigkeit doch in Frage stellen müssen.«
    Dennys rümpfte die Nase. »Das Nichts gibt es nicht.«
    »Wollen wir es hoffen.«
    »Und deshalb mußte Vater fort?«
    »Ja. Er trifft sich mit einigen anderen Experten zu Konsultationen. Aus Indien kommt Shasti, aus China Shen Shu – die Namen sind euch ja geläufig.«
    In diesem Augenblick zuckte draußen ein Blitz auf, dem unmittelbar ein lauter Donnerschlag folgte. Die Fensterläden klapperten; die Küchentür öffnete sich von selbst.
    Alle fünf erschraken. »Mutter!« schrie Meg hysterisch und sprang von ihrem Platz auf.
    »Setz dich!« befahl Frau Murry. »Das ist doch nicht dein erstes Gewitter.«
    Sandy schloß die Tür.
    »Bist du sicher, daß das nicht von dieser kosmischen Katastrophe kommt?«
    »Ganz sicher, Meg«, versuchte Frau Murry sie zu beruhigen. »Diese Emissionen können mit menschlichen Ohren nicht aufgenommen werden.« Wieder blitzte und donnerte es. »Wir verfügen auf der ganzen Welt nur über zwei Apparate, mit denen derart hohe Frequenzen überhaupt registriert werden können. Wer weiß, vielleicht gibt es diese Geräusche schon seit Millionen von fahren, und wir konnten sie bloß nicht wahrnehmen, weil uns bisher ausreichend empfindliche Meßinstrumente fehlten.«
    »Vögel können Schallwellen aufnehmen, die jenseits der menschlichen Hörschwelle liegen«, sagte Sandy.
    »In diesem Fall wären selbst Vögel überfordert.«
    »Auch Schlangen?« gab Dennys zu bedenken. »Können die vielleicht besser hören als Vögel?«
    »Schlangen hören überhaupt nichts«, fertigte Sandy ihn ab. »Sie haben nämlich keine Ohren.«
    »Stimmt. Aber sie spüren Erschütterungen, also auch die Vibrationen von Schallwellen. Ich bin sicher, daß Louise vieles empfindet, das uns Menschen verschlossen bleibt. – Was gibt es denn zum Nachtisch?«
    »Als ob das jetzt so wichtig … « begann Meg vorwurfsvoll, blieb aber mitten im. Satz stecken, denn jetzt prasselte plötzlich ein Sturzregen gegen die Scheiben.
    »Im Kühlschrank ist noch etwas Eiskrem«, sagte Frau Murry. »Tut mir leid, aber an ein Dessert habe ich nicht gedacht.«
    »Dafür ist eigentlich Meg zuständig«, maulte Dennys. »Du brauchst ja nicht gleich eine Torte zu backen, Meg, aber für eine Kleinigkeit hätte es

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