Der Riss im Raum
äußerst distanzierten Art. Das ließ darauf schließen, daß sie diesmal wirklich zutiefst beunruhigt war.
Frau Murry versuchte den Schaden mit einem Lächeln zu reparieren. »Tut mir leid, Megatron. Es war nicht so böse gemeint. Ich bin nur in der verzwickten Lage, wahrscheinlich der einzige Mensch zu sein, der einiges über die mögliche Bedrohung der Mitochondrien herausgefunden hat. Das kam schneller als erwartet; trotzdem weiß ich längst nicht genug, um Louise oder dir wirklich Definitives sagen zu können. Solange wir jedenfalls nicht mit Bestimmtheit wissen, daß Grund zur Sorge besteht, brauchen wir nicht gleich den Kopf hängen lassen. Im Augenblick sollten uns eher die Probleme zu denken geben, die Charles Wallace in der Schule hat.«
»Darf er denn überhaupt noch hingehen?«
»Ich denke schon. Zumindest fürs erste. Ich möchte ihn nach Möglichkeit nicht aus der Schule nehmen.«
»Warum nicht?«
»Weil er ja doch eines Tages wieder zurück muß, Meg, und dann hat er es bestimmt noch schwerer. Er muß einfach diese ersten paar Wochen durchstehen … «
»Mutter, mit einem Sechsjährigen wie Charles kommt man in diesem Dorf nicht zurecht.«
»Er ist außerordentlich intelligent. Andererseits soll es Zeiten gegeben haben, in denen es keineswegs unüblich war, daß schon Zwölf- oder Dreizehnjährige in Harvard, Oxford oder Cambridge promovierten.«
»Das war einmal. Heute geht das nicht. Vater und du, ihr könntet ihn unmöglich mit sechs Jahren nach Harvard schicken. – Wie schafft er es eigentlich immer, herauszubekommen, was wir denken und fühlen? Ich weiß nicht, wieviel du ihm gesagt hast, aber er kennt sich recht gut mit Mitochondrien und Farandolae aus.«
»Ich habe ihm einiges erzählt.«
»Er weiß mehr. Und er weiß auch, daß du dir um ihn Sorgen machst.«
Frau Murry setzte sich auf einen der hohen Stühle hinter der Theke, die den Küchenbereich gegen den bequemen und geräumigen Eß- und Arbeitsplatz abgrenzte. Sie seufzte. »Du hast recht, Meg. Charles Wallace ist nicht nur besonders gescheit, er verfügt auch über ungewöhnliches Einfühlungsvermögen. Wenn er einmal lernt, es zu beherrschen und sinnvoll anzuwenden, wird er eines Tages, als Erwachsener … Falls ihm nicht jetzt etwas zustößt … « Sie schnitt sich selbst das Wort ab. »Ich muß mich um das Abendessen kümmern.«
Meg ahnte, daß sie Mutter nicht weiter drängen durfte. Sie verzichtete darauf, von den Drachen zu berichten und erwähnte weder das seltsame Verhalten von Louise der Großen noch den geheimnisvollen Schatten, den Charles und sie – beinahe – gesehen hatten. »Ich helfe dir. Was willst du denn kochen?«
»Wie war’s mit Spaghetti? Das geht schnell.« Frau Murry schob sich eine rotbraune Haarsträhne aus der Stirn. »Und schmeckt an Herbstabenden besonders gut.«
»Außerdem haben wir Tomaten und Pfeffer in Hülle und Fülle. Die Zwillinge haben wieder einmal im Garten geerntet. Ach ja, Mutter, ich kann Sandy und Dennys wirklich gut leiden, obwohl wir oft miteinander streiten, aber Charles … «
»Ich weiß, Meg. Du und Charles, ihr habt euch schon immer besonders nahegestanden.«
»Darum kann ich auch nicht mit ansehen, daß man ihm in der Schule so zusetzt.«
»Das fällt auch mir schwer, Meg.«
»Und was wirst du unternehmen?«
»Nach Möglichkeit gar nichts. Natürlich könnten wir Charles fürs erste aus der Schule nehmen. Daran dachten wir schon, ehe er die ersten Symptome von … – daran haben wir schon früher gedacht. Aber Charles muß sich damit abfinden, in einer Welt zu leben, in der die Menschen anders denken und handeln als er; und je rascher er das lernt, um so besser wird er mit ihnen zu Rande kommen. Du und Charles, ihr paßt euch beide nicht so gut an die Verhältnisse an wie die Zwillinge.«
»An Intelligenz übertrifft Charles sie bei weitem.«
»Die Natur beweist uns aber, daß Anpassung die Voraussetzung fürs Überleben ist.«
»Der Gedanke gefällt mir gar nicht.«
»Vater und mir geht es genauso, Meg. Versuche, unsere Entscheidung trotzdem zu akzeptieren. Und denk daran, daß du eine dumme Neigung hast, Dinge gerade dann erzwingen zu wollen, wenn sich mit etwas Geduld und Abwarten bestimmt mehr erreichen ließe.«
»Ich habe aber keine Geduld!«
»Wem sagst du das.« Frau Murry nahm Tomaten, Zwiebel, grünen und roten Pfeffer, Knoblauch und Porree aus dem Gemüsekorb. Während sie Zwiebelscheiben in einen großen, schwarzen Gußeisentopf schnitt,
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