Der Riss im Raum
wundern sich unsere Eltern noch, daß er Probleme mit dem Schuleintritt hat.«
Charles Wallace lag vor dem knisternden Feuer auf dem Boden, starrte in die Flammen, hörte mit halbem Ohr zu, war zugleich in eigene Gedanken versunken und benutzte Fortinbras, wie üblich, als komfortables Kopfkissen.
Meg hätte Fort gern mitgenommen, aber damit hätte sie verraten, daß sie noch einmal das Haus verließ. Also schlich sie, so rasch und unauffällig wie möglich, durch die Küche in den Vorraum. Als sie vorsichtig die Küchentür hinter sich zuzog, ganz leise, damit niemand sie hörte, sprang mit lautem Knall die Haustür auf, und der plötzliche Luftzug ließ seinerseits die Tür zum Labor ins Schloß fallen.
Meg wagte nicht zu atmen. Gleich würden die Zwillinge kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Aber nichts geschah; nur der Wind heulte durch den Flur. Meg fror. Sie langte nach dem erstbesten Regenmantel, der ihr in die Hand kam; es war ein großer schwarzer Umhang, der den Zwillingen gehörte und auch schon wiederholt als Zeltboden gedient hatte. Dazu nahm sie den Südwester von Charles und eine Taschenlampe.
Sie zog die Haustür fest hinter sich zu, lief über die Wiese und stolperte prompt über das vergessene Krocket-Tor. Humpelnd bahnte sie sich einen Weg durch das Gewirr aus Löwenzahn, Kletten und Wolfsmilch, das die von den Zwillingen so mühsam in die Berberitzenhecke geschnittene Öffnung allmählich überwucherte. Sobald Meg im Gemüsegarten war, konnte man sie vom Haus nicht mehr sehen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte Sandy oder Dennys zufällig aus dem Fenster geblickt, Meg gefragt, wohin sie denn so spät noch wolle, und zur Antwort bekommen: »Drachen suchen.«
Warum stahl sie sich eigentlich wirklich fort? Was erwartete sie denn? Daß sie die Drachen sehen würde? Louise und Fortinbras hatten jedenfalls etwas entdeckt – oder ein Etwas —, vor dem sie keine Angst zeigten und das Federn und Schuppen zurückließ. Und dieses Etwas fühlte sich jetzt womöglich auf der nassen Wiese ganz und gar nicht wohl und überlegte vielleicht, im Haus Zuflucht zu suchen. Für diesen Fall wollte Meg gewappnet sein.
Sie glaubte nicht recht an Drachen; daran konnte weder die Feder mit der ungewöhnlichen Spindel noch ihr grenzenloses Vertrauen in Charles Wallace etwas ändern. Aber das Verhalten von Louise der Großen gab ihr zu denken. Die Zwillinge hatten zwar immer schon behauptet, Louise sei kein gewöhnliches Reptil, aber erst heute nachmittag waren Meg Zweifel gekommen, daß Louise tatsächlich bloß eine gutmütige, harmlose Gartenschlange war.
Meg suchte die Mauer nach dunklen Schatten ab. Louise ließ sich nicht blicken. Meg hatte wenig Lust, den sicheren Platz unter den Apfelbäumen zu verlassen und zu den beiden Felsen auf der oberen Wiese zu gehen. Lieber wollte sie noch einige Minuten zwischen den Bäumen ausharren, dazu reichte ihr Mut, und vor Entdeckung geschützt bleiben. Es war ja nicht zu erwarten, daß sich die Zwillinge heute nacht in die Kälte und Nässe wagen würden, um noch einmal stolz ihre Kohlköpfe oder Gurken zu bewundern.
An der Ostseite war der Garten von Sonnenblumen gesäumt, die in zwei Reihen standen und ihre schweren, gezackten Köpfe reckten. Das sah aus, als hätte sich eine Hexenschar zum nächtlichen Geraune versammelt, und Meg vermied es, hinzuschauen. Mit melancholischer Gleichgültigkeit lösten sich ein paar letzte Tropfen von den Zweigen, aber es hatte endgültig zu regnen aufgehört. Der Vollmond steckte hinter Wattewolken, die sich nur zögernd auflösten und sein mattes Licht preisgaben, das alles im Garten in gespenstische Wesen verwandelte: die Bohnenstangen, zwischen denen bloß dunkle Leere gähnte; die Salatköpfe mit ihren augenlosen Kugelgesichtern; die Erbsenstauden, die matt ihre Schotenfinger hängen ließen … Trauer und Verwirrung lag über dem Garten, in dem sonst Ordnung und sorgfältige Planung herrschten.
»Hier ist es auch nicht besser als anderswo«, wandte sich Meg vorwurfsvoll an die wenigen Blumenkohlhäupter, die noch nicht geerntet waren. »Alles ist in Auflösung begriffen. Nicht einmal ein Sechsjähriger in der Schule bleibt vom Unrecht verschont.«
Langsam ging sie weiter und hielt sich dabei immer eng an die Gartenmauer. Zuvor hatte es faulig nach den im Gras liegenden Äpfeln gerochen; jetzt drehte der Wind, schlug völlig um und kam nun direkt aus Nordwest, kalt, schneidend; er brachte Frost.
Meg sah einen
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