Der Riss im Raum
unregelmäßig.
»Mußtet ihr mir so weh tun?« Die erlittene Angst und der Schmerz hatten sie zornig gemacht. Sie zitterte am ganzen Körper.
Proginoskes wirkte angeschlagen; sein Herzschlag wollte sich nicht beruhigen. Meg meinte, den Cherubim sagen zu hören: »Wir hatten eine Auseinandersetzung mit einem Echthros.«
Ihr eigener Atem ging flach und mühsam. Sie spürte zwar, daß sie unbehelligt geblieben war, daß sie ihre Identität nicht verloren hatte, doch wenn sie die Augen öffnete, sah sie nichts als eine seltsame, grün-schwarze Dunkelheit. Sie lauschte in das Dunkel und nahm schließlich ein leises Geräusch wahr, das beinahe dem nächtlichen Zirpen einer Grille glich, aber eher zu fühlen als zu hören war: ein beharrliches, rhythmisches Pulsen.
»Wo sind wir, Progo?«
»… Yadah.«
»Wie? Wir sind in Charles Wallace? In einem seiner Mitochondrien?«
»Ja.«
Es war unvorstellbar! »Was ist das für ein Dröhnen? Der Herzschlag von Charles Wallace?«
Proginoskes verneinte, wieder nur in Gedanken. »Das ist der Rhythmus des Yadah.«
»Es fühlt sich an wie das Pochen eines Herzens.«
»Megling, wir sind aus der irdischen Zeitrechnung ausgetreten. Wir sind jetzt in Yadah. Nach dem Zeitbegriff der Farandolae schlägt das Herz von Charles Wallace nur einmal pro Dekade.«
Ihr schauderte. Ihre Arme und Beine waren kraft- und gefühllos, nicht zu gebrauchen. Sie blinzelte, um ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. »Progo, ich kann nichts sehen.«
»Wozu auch, Meg? Im Inneren brauchen wir keine Augen.«
Sie hatte Angst. Ihr Herz klopfte zum steten Pulsen des Mitochondrions wilde Dissonanzen. Kaum achtete sie auf die Erklärung, die Proginoskes ihr gab: »Was du hier empfindest, könnte man den Lebenstakt nennen. Alles Leben braucht ein rhythmisches Grundmaß, um … «
Sie unterbrach ihn. »Progo! Blajeny! Ich kann mich nicht bewegen!«
Proginoskes war in ihren Gedanken. Sein eigenes Denken war wieder ruhig geworden; er erholte sich allmählich von der furchterregenden Begegnung, die auch ihr so viel Schmerz verursacht hatte. »Blajeny ist nicht mitgekommen.«
»Warum nicht?«
»Jetzt ist nicht die Zeit, dumme Fragen zu stellen.«
»Warum soll diese Frage dumm sein? Warum kann ich nichts sehen? Warum kann ich mich nicht bewegen?«
»Meg, wenn du in Panik gerätst, kann ich nicht mehr mit dir kythen. Dann können wir einander auch nicht helfen.«
Sie bemühte sich nach Kräften, wieder Fassung zu gewinnen; aber mit jedem Herzschlag wuchsen Angst und Beklemmung. Warum raste ihr Puls, während Charles Wallace nur einmal in zehn Jahren ein Lebenszeichen gab?
Proginoskes dröhnte in ihre Gedanken. »Zeit ist ebenso bedeutungslos wie Größe. Du mußt bloß hinnehmen, im Jetzt zu sein, in der Gegenwart, die uns gegenwärtig beschieden ist.«
»Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin nicht mehr in mir selbst. Ich bin in Charles Wallace, bin ein Teil von ihm geworden.«
»Meg, du bist für immer benannt … «
»Aber, Progo … «
»Kannst du das kleine Einmaleins aufsagen?«
»Wer von uns beiden stellt jetzt dumme Fragen?«
»Megling, ich will dir doch nur helfen, zu dir zurückzufinden. Versuche es!«
»Es geht nicht!« Ihre Gedanken waren zerrüttet und stumpf. Sie konnte nicht einmal bis zehn zählen.
»Wieviel ist sieben mal acht?«
Darauf antwortete sie automatisch. »Sechsundfünfzig.«
»Wie lautet das Produkt von zwei Dritteln und fünf Siebenteln?«
Das war zuviel verlangt. Sie mußte sich zusammenreißen. »Zehn … Einundzwanzigstel.«
»Welche Primzahl ist die nächsthöhere nach Siebenundsechzig?«
»Einundsiebzig.«
»Können wir jetzt wieder gemeinsam denken?« Proginoskes war offenbar ernsthaft in Sorge.
Aber die Konzentrationsübung, die er ihr auferlegt hatte, war nicht ohne Wirkung geblieben und hatte Meg beruhigt. »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Wo ist Calvin? Wo ist Herr Jenkins? Und wo ist dieser – wo ist Sporos?«
»Sie sind hier. Bald wirst du mit ihnen kythen können. Zuvor müssen wir jedoch herausfinden, worin die zweite Prüfung besteht.«
»Herausfinden? Wie?« Meg war noch immer von Angst und Schmerz verwirrt.
»Es dürfte irgend etwas mit Sporos zu tun haben.«
»Aber was?«
»Eben das müssen wir ja erkennen.«
»Hoffentlich gelingt es – und bald.«
»Meg, ich kann nur mit deiner Hilfe Herrn Jenkins erreichen, denn im Gegensatz zu dir ist er nicht in der Lage, mich in sein Denken und Fühlen wirken zu lassen. Vollentwickelte
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